Perspektive und Verlangen

Perspektive im Japanischen

Wenn es um den Ausdruck von Wünschen geht, musst du verstehen, wie Perspektive im Japanischen funktioniert. Und es ist wieder ein Punkt, den Lehrbücher verschweigen, indem sie versuchen, die Sprache mit Deutsch gleichzusetzen. Hier zeig ich dir, wie es wirklich funktioniert.

Der Sprecher ist nicht der Mittelpunkt

Das Problem: Wenn du Deutsch oder Englisch gewohnt bist, dann bist du ein grammatisch sehr egozentrisches Weltbild gewohnt. Jeder Satz wird aus der Sicht des Sprechers heraus gebildet, oder zumindest aus der eines Lebewesens. Und Lehrbücher versuchen dieses System auf die Japanische Sprache anzuwenden. Das funktioniert jedoch nicht, da Japanisch einer ganz anderen Ansicht folgt.

So funktioniert Japanisch: Im Japanischen kannst du Sätze gar aus der Sicht von Gegenständen heraus bilden. Ein Buch ist genauso ein akzeptabler Akteur eines Satzes wie eine Person oder ein Tier.

が好き – Das bedeutet “mögen” wirklich!

Ein simples Beispiel: Das einfachste Beispiel, um dieses System zu verdeutlichen, ist が好き (ga suki) . Oder “mögen” wie es oft in Lehrbüchern übersetzt wird. Und deswegen wird dort etwa die Aussage “お茶が好きだ。” als “Ich mag Tee.” übersetzt.

Die eigentliche Übersetzung: Wenn du die Bedeutung des Satzes auf Deutsch ausdrücken willst, dann ist das korrekt. Allerdings ist das bereits eine Lokalisation. Also eine Anpassung an einen anderen Kulturkreis. Es ist keine Übersetzung des Satzes. Denn die sieht folgendermaßen aus:

私はお茶がすきだ。

(Watashi-ha ocha-ga suki da.)

Was mich angeht, der Tee ist angenehm.

Die wahre Bedeutung von suki

Das steckt hinter dem Satz

“Ich” ist nicht das Subjekt! Lehrbücher erklären dir hier im Regelfall, dass わたしは das Subjekt ist und verwundern damit alle Japanischlerner, die nicht verstehen, wann sie das Subjekt mit は und wann mit が markieren. Aber wie du jetzt weißt, markiert は nur das Thema eines Satzes, verändert als Nicht-logische Partikel aber dessen Bedeutung nicht.

Das wahre Subjekt: Du hast ebenfalls bereits gelernt, dass das が stets das Subjekt markiert. Und das hängt im Beispiel an お茶. Das bedeutet, dass der Tee der eigentliche Akteur des Satzes ist und nicht du als Person.

Es geht nicht um eine Handlung! Suki ist kein Verb, wie du es durch die Lokalisation denken könntest. Durch das だ siehst du, dass es ein Substantiv sein muss. Und es ist eines der besonderen Substantive, die mit な eine Adjektiv-Funktion einnehmen können. Das bedeutet auch, dass es sich hier nicht um einen “A macht B”-Satz handeln kann. Es muss ein “A ist B”-Satz sein.

Was bedeutet 好き? Das heißt, dass uns das 好き den Tee genauer beschreibt und uns eine Eigenschaft von ihm vermittelt. Übersetzt bedeutet es so viel wie “angenehm”. Das は hingegen erklärt ausschließlich, wer Thema des Satzes ist, also für wen der Tee diese Empfindung auslöst. Das は kann zudem implizit sein, ohne überhaupt im Satz aufzutauchen.

Eine seltene Sonderform: Du kannst 好き, und das Gegenteil 嫌い (kirai), auch mit der Partikel を verwenden. Das klingt nach wie vor natürlich und in etwa 20 Prozent der Japaner nutzen es noch so. Das heißt jedoch nicht, dass い-Adjektive zum Verb eines Objekts werden können. Es handelt sich hier um eine Sonderform. Die funktioniert nur, weil 好き in der Vergangenheit ein Godan-Verb namens 好く (suku) war. Die genannten Regeln treffen also nach wie vor zu, nur versucht dir die Sprachentwicklung hier einen Streich zu spielen.

が分かる heißt nicht “verstehen”!

Ein weiteres sehr häufiges Beispiel, das den gleichen Regeln folgt, ist das Wort 分かる (wakaru), das “macht verständlich” bedeutet, aber immer als “verstehen” lokalisiert wird. Paradoxerweise haben Lehrbücher es jedoch nicht verstanden.

Das zeigt erneut ein simples Beispiel. In diesem Fall “私は本がわかる。” Laut Lehrbüchern bedeutet das “Ich verstehe das Buch.” Wenn du dir jedoch die Einzelteile ansiehst und an die oben genannten Informationen denkst, kommst du schnell auf die korrekte Übersetzung. Denn das Subjekt ist wieder nicht “Ich” sondern das Buch:

私は本がわかる。

(Watashi-ha hon-ga wakaru.)

Was mich angeht, das Buch macht-verständlich.

Verlangen mit ほしい ausdrücken

Eine Art, deine Wünsche auf Japanisch auszudrücken funktioniert mit dem Adjektiv ほしい.  Als Adjektiv kannst du es natürlich nicht verwenden, um dein Verlangen nach Tätigkeiten zu äußern, sondern nur, um zu sagen, dass du ein bestimmtes Objekt willst. Und wenn du in den bisherigen Kapiteln aufgepasst hast, kannst du dir bereits denken, was ほしい statt “wollen” in Wirklichkeit bedeutet.

私は猫が欲しい。

Watashi-ha neko-ga hoshii.

Was mich angeht, die Katze ist-gewollt.

Das musst du beachten: Das Subjekt-markierende が steht hier in Verbindung mit der Katze. Also beschreibt das Adjektiv ほしい die Katze genauer. Mit der Themenpartikel は hingegen gibst du erneut nur das Thema an, über das gerade gesprochen wird.

Verlangen mit ~たい

Wenn es hingegen darum geht, etwas tun zu wollen, nutzt du die たい-Form von Verben. Die bildest du, indem du ganz einfach ein たい an den i-Stamm von Verben ranhängst. Mit Ausnahme der Ichidan-Verben, wo du das る am Ende einfach weglässt und durch たい ersetzt.

Bildung des い (i)-Stamms japanischer Verben

Beispiele:

  • 買う (kau) – 買いたい (kaitai)
  • 聞く(kiku) – 聞きたい (kikitai)
  • 話す (hanasu) – 話したい (hanashitai)
  • 食べる (taberu) – 食べたい (tabetai)

Es ist kein Verb: Obwohl der Ursprung der Form natürlich ein Verb ist, wird dir bei たい aber direkt auffallen, dass es auf い endet. Es muss entsprechend ein Adjektiv sein. Seine Bedeutung ist ein wenig komplexer und von seiner Verwendung abhängig. Es kann einmal beschreiben, welches Gefühl ein Ding in dir auslöst, aber auch direkt das in dir ausgelöst Gefühl bezeichnen.

Das klingt verwirrend. Aber nach den folgenden Beispielen wirst du es verstehen:

クレープが食べたい。

(Kureepu-ga tabe-tai.)

Die Crépe essen-wollend-auslösend.

たい mit 0-が: Im Japanischen kannst du jedoch auch einfach Dinge sagen wie “たべたい。”  und in diesen Fällen ist das 0-が in der Tat ein “Ich”. In diesen Fällen gibt es kein Subjekt mehr, das das Wollen auslöst und die Eigenschaft des “essen-wollend-sein” wird dir selbst zugeschrieben.

0がたべたい。

(0-ga tabetai)

Ich essen-wollend-sein.

Ähnlich funktioniert das auch bei anderen Adjektiven wie etwa こわい (kowai) – furcht-sein. Den Unterschied kannst du an den folgenden zwei Beispielen noch einmal erkennen:

  • おはけが怖い。(obake-ga kowai.) – Geister gruselig-auslösend.
  • 0が怖い。(0-ga kowai.) – Ich grusel-sein.

Das Hilfsverb -がる (garu)

Es geht nur um dich! Derartige Emotionsadjektive kannst du dadurch allerdings ausschließlich verwenden, wenn du von deinen eigenen Gedanken und Gefühlen sprichst, aber nicht, wenn es um die anderer geht. Weil du nie mit Bestimmtheit sagen kannst, wie sich andere fühlen. Deswegen brauchst du in diesen Fällen das Hilfsverb がる.

Das bedeutet がる: Das Wort heißt so viel wie “Anzeichen zeigen” oder “Aussehen, als sei es der Fall”. Und gebildet wird die Form, indem du einfach das い der i-Adjektive damit austauschst.

Unterschied zwischen Gefühlen

Dabei ist es auch egal, ob dir die Person wörtlich mitgeteilt hat, dass sie etwa Kuchen will. Weil selbst dann interpretierst du nur die Anzeichen und fühlst nicht die Gefühle der anderen Person.

さくらがけーきをほしがる。

(Sakura-ga keeki-wo hoshi-garu.)

Sakura Kuchen wollen-agierend.

Wieso ein Verb? Dass es sich bei がる plötzlich um ein Verb handelt, hat ebenfalls seine Gründe. Denn du deutest etwas, das eine Person macht. Zudem macht es auch deutlich, wieso das 0が bei der たい-Form, ほしい und こわい immer du selbst sein musst. Weil die Formen gar nichts anderes erlauben.

Das Verständnis ist wichtig

Natürlich sind die hier genannten sehr merkwürdig klingenden deutschen Übersetzungen nicht, wie du reden sollst. Bei Japanisch musst du wegen der starken Unterschiede einfach lokalisieren. Allerdings geht es hier um Sprachverständnis. Und dafür musst du über die Sprache nachdenken, wie es Japaner tun und dir eine animistische Denkweise aneignen.

Lokalisationen eignen sich nicht zum lernen! Diesen Schritt lassen Lehrbücher bei ihrem Versuch, Japanisch die egozentrische Denkweise überzustülpen weg. Würdest du nach deren Lokalisationen vorgehen, würdst du glauben, dass が das Objekt eines Satzes markieren kann und das mal は und mal が das Subjekt eines Satzes markieren kann.

Im nächsten Kapitel geht es um das große Missverständnis der japanischen Konjugation und damit zusammen auch um die oft gefürchtete Potentialform.

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Profilbild von Mathias Dietrich

Ich bin der Betreiber von Kawaraban und beschäftige mich seit 2007 mit Japan und seiner Sprache.

Ich habe einen Bachelor of Arts in Japanologie erworben und ein Austauschstudium an der Senshu-Universität absolviert.

Seit 2018 lebe ich in Japan und berichte über das Land und mein Leben hier.

Eines meiner Ziele ist es, zukünftigen Generationen bessere Erklärungen zur Sprache zu bieten, als ich sie zur Verfügung hatte.

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