Ist dir dieser Gedanke schon einmal gekommen? Ich weiß, dass ich ihn schon oft hatte. Aber damit kann man nur eines machen: Wirf ihn weg! Denn damit belügst du dich nur selbst. Du bist nämlich schon viel besser, als du denkst!
Das Problem ist vor allem, dass dieses Denken nie aufhören wird, wenn du nicht anfängst, Japanisch zu lesen oder dir etwas auf Japanisch anzuschauen. Und das hat einen einfachen Grund:
Würde irgendjemand erwarten, dass man einfach eine Anleitung zum Fahrradfahren liest, sich zum ersten Mal aufs Rad schwingt und sofort perfekt fahren kann? Wohl kaum. Und doch haben viele Japanischlerner genau diese Vorstellung.
Sie lernen Japanisch. Sie versuchen vielleicht kurz, sich etwas auf Japanisch anzusehen, merken dann, dass Sie es noch nicht können und gehen mit dem Gedanken: “Ich muss noch viel mehr lernen!” zurück zur Bedienungsanleitung. Diesem Teufelskreis kannst du jahrzehntelang folgen, ohne dass sich jemals nennenswerte Fortschritte einstellen.
Und ich sehe leider auch, dass sich viele Kurse genau diese Gedanken zunutze machen. Sie reden den Leuten sogar ein, dass sie es nicht alleine können. Und dann sagen sie ihnen, dass das ganz normal ist und dass sie erst mal einen Kurs machen müssen, um die Gebrauchsanweisung zu lesen. Anstatt sie einfach zu ermutigen, sich ernsthaft und selbstständig mit Japanisch zu beschäftigen. Dabei ist “selbstständig” das Wichtigste beim Lernen.
Du brauchst Übung!
Die Realität ist: Wenn du zum Beispiel einen japanischen Roman lesen können willst, musst du japanische Romane lesen, um zu üben. Mit Lehrbüchern kommst du da nicht weiter.
Aber die vielen Kanji! Die Kanji sind das, was viele Leute abschreckt. Man kann sie noch nicht lesen! Und vor vielleicht 50 Jahren war das tatsächlich ein Problem. Kein unüberwindbares, aber Kanji-Wörterbücher sind auch nicht gerade die bequemsten Nachschlagewerke.
Heutzutage? Mit Apps wie Akebi oder Google Lens kannst du jedes unbekannte Kanji in Sekundenschnelle nachschlagen. So kannst du auch ein Buch in angemessener Zeit durcharbeiten. Und wenn du Webseiten liest oder Spiele spielst, gibt es noch bequemere Methoden, die allerdings ein wenig tiefergreifendes Wissen erfordern.
Das braucht Zeit! Deswegen sage ich auch “angemessen”. Denn natürlich kannst du nicht erwarten, dass du dein erstes japanisches Buch völlig fließend liest. Das hat schon bei deiner Muttersprache nicht geklappt. Warum sollte das bei einer Fremdsprache anders sein?
Hier beginnt das Lernen! Lernen bedeutet nicht, ständig Übungen zu machen, Kurse zu besuchen und Grammatiken zu lesen. Das Lernen einer Sprache sollte eher als “Aneignung” bezeichnet werden. Es ist die Arbeit, die man sich macht, um das Unbekannte zu verstehen.
Und natürlich: Du wirst vielleicht 300 Stunden über deinem ersten Buch sitzen. Aber je mehr du auf Japanisch konsumierst, desto leichter kommst du durch und desto größer wird dein Wortschatz. Und das sogar ganz ohne Vokabelkarten und Co.
Implizites Wissen ist das Ziel!
Fühle die Sprache: Es geht vor allem darum, dir implizites Wissen anzueignen. Das heißt, Wissen, das du hast, aber nicht unbedingt erklären oder jederzeit abrufen kannst. Umgangssprachlich wird das als Muttersprachgefühl bezeichnet.
Du kannst hervorragend deutsche Sätze nach allen Regeln der Grammatik bilden. Aber wie viele können diese Grammatikregeln erklären? Das Gleiche gilt für Japanisch. Du musst die Grammatik nicht verstehen. Du musst nur ein Gefühl dafür haben, was richtig ist.
Mit den üblichen Methoden, wie z.B. Vokabelkarten, eignest du dir explizites Wissen an. Das ist natürlich nicht unbrauchbar und kann dir auch helfen, implizites Wissen zu erwerben. Es sollte aber nicht das Hauptziel deiner Anstrengungen sein.
Überschätzt statt unterschätzt!
Eine andere Einstellung: Was ich bei Lernern sehe, die auf diese Weise über einen längeren Zeitraum lernen, ist das genaue Gegenteil von dem, was ich bei denen sehe, die es mit klassischen Methoden versuchen.
Während letztere oft frustriert sind und sich irgendwann Dinge sagen wie “Ja, das brauche ich nicht. Mir reicht es, wenn ich ein bisschen sprechen kann” oder auch “Ich habe so viel gelernt und müsste eigentlich schon viel weiter sein”, höre ich von Leuten, die wirklich japanische Bücher lesen und Serien schauen, dass sie ihre eigenen Fähigkeiten ständig überschätzen.
Wie weit willst du in einem Jahr sein?
JLPT N5 erreichen? Wer einen Sprachkurs besucht, ist in der Regel nach einem Jahr so weit, dass er den JLPT N5, die niedrigste Stufe, ablegen kann. Das heißt, er kann einfache Multiple-Choice-Testfragen auf niedrigem Niveau beantworten. Das versprechen zumindest die meisten Kurse.
Oder einfach deinen Hobbys auf Japanisch nachgehen? Wer hingegen in dieser Zeit regelmäßig japanische Bücher liest, Serien schaut und sich auf alle möglichen Arten mit Japanisch umgibt, kann sich nach diesem einen Jahr sagen, dass er sich jetzt hinsetzen und normale japanische Unterhaltungsmedien konsumieren kann. Natürlich nicht ganz ohne Nachschlagen. Aber das, was man nachschlagen muss, wird immer weniger.
Was macht den Unterschied aus? Der Unterschied liegt nicht nur in der Methode, sondern auch in der Motivation. Ein Lehrbuch aufzuschlagen ist langweilig. Auch meine eigenen Grammatikerklärungen sind langweilig. So ist Grammatik eben. Oder gab es in der Schule jemanden, dem im Deutschunterricht die Grammatikstunden wirklich besser gefallen haben als die Literaturstunden, in denen man ein Buch gelesen hat?
Und wenn du jetzt Japanisch lernst und nur ab und zu ein paar unbekannte Wörter nachschlägst, um etwas zu verstehen, das dich wirklich interessiert, dann bleibst du automatisch viel länger dran. Denn du gehst ja immer noch deinen Hobbys nach, mit denen viele ohne Probleme den ganzen Tag verbringen können.
Nur machst du es auf Japanisch. Aus einer Stunde Unterricht pro Woche und vielleicht einer Stunde Hausaufgaben wird plötzlich: “Oh Gott. Der Tag ist schon vorbei und ich habe nur Japanisch gemacht!” Obwohl auch diejenigen, die nur 1-2 Stunden am Tag Zeit haben, viel schneller sprachliche Fortschritte machen.
Für den Einstieg lohnt sich wie immer ein Blick in meinen kostenlosen Leitfaden, den ich regelmäßig aktualisiere, um ihn benutzerfreundlich zu halten und alle wichtigen Informationen an einem Ort zu bündeln.
Ich bin der Betreiber von Kawaraban und beschäftige mich seit 2007 mit Japan und seiner Sprache.
Ich habe einen Bachelor of Arts in Japanologie erworben und ein Austauschstudium an der Senshu-Universität absolviert.
Seit 2018 lebe ich in Japan und berichte über das Land und mein Leben hier.
Eines meiner Ziele ist es, zukünftigen Generationen bessere Erklärungen zur Sprache zu bieten, als ich sie zur Verfügung hatte.