Statt einer Eule wie bei Duolingo, bringt dir bei Lingodeer ein Hirsch Sprachen bei. Jetzt stellt sich die Frage: Will er nur deine Kreditkartennummer, oder ist er auch wirklich ein guter Lehrer?
Wie lehrt der Hirsch Japanisch?
Raten statt wissen
Den Anfang machen wie bei den meisten Apps erst einmal die Kana. Die Schrift wird hier ganz klassisch beigebracht: Die Zeichen werden dir einmal vorgesprochen und dazu siehst du, wie man sie zeichnet. Bei der Abfrage gibt man dir hingegen direkt Lösungsmöglichkeiten zur Auswahl.
Dieser Ansatz ist wie immer nicht sehr durchdacht: Man hat stets eine Chance, richtig zu liegen und kann sich zudem auf das Ausschlussverfahren verlassen, statt wirklich das Zeichen erkennen zu müssen.
Bei den ersten Vokabeln geht es so weiter: Multiplce-Choice. Und dazu hat man gar noch lateinische Buchstaben zur Unterstützung. Die lassen sich zwar auch ausstellen, allerdings sollte die App an sich einen sinnvollen Lernweg vorgeben, anstatt so etwas den Nutzern zu überlassen. Denn diese suchen explizit eine Anleitung, wie sie vorgehen sollen.
Dieser "Wir machen es allen recht!"-Ansatz ist problematisch. Denn als neuer Lerner hat man oft Vorstellungen, die beim Lernen nur aufhalten werden. Wie etwa die Nutzung lateinischer Buchstaben als Hilfe.
Grammatik, so schlecht es nur geht
Parallel zu den Übungsaufgaben kannst du dir Grammatik ansehen. Hier schaue ich als erstes immer nach, wie die Partikeln は (ha) und が (ga) erklärt werden. Im Regelfall stellen die meisten は korrekt als Themenmarker da, vergessen diese Logik danach aber schnell. Lingodeer hingegen erklärt es komplett falsch.
Denn hier wird は direkt zu Beginn als Subjekt-Marker präsentiert. Es kann zwar mit dem Subjekt identisch sein, das sind aber Ausnahmefälle. Zwar spricht man danach von Thema, erklärt es aber nicht.
Damit erschwert es das Verständnis von Japanisch direkt von Beginn an. Wer natürliches Japanisch liest, wird das は sehr schnell und auch sehr oft in Situationen sehen, wo Thema und Subjekt nicht identisch sind. Wer hier nicht weiß, was das は wirklich macht, wird schnell Verständnisprobleme bekommen.
Die weitere Grammatik lohnt ebenfalls nicht: Man geht hier die ganze Bandbreite problematischer Erklärungen durch, die so tun, als funktioniere Japanisch wie Englisch. Man spricht von Formen, während man zusammengesetzte Prädikate beschreibt. Erklärt な-Adjektive, die eigentlich Substantive sind
Geschichten zum lernen
Lingodeer bietet auch sehr früh Geschichten zum lernen an. Das kann, richtig implementiert, ein großer Mehrwert sein. Doch genau da schwächelt die App wieder. Du bekommst standardmäßig sofort eine deutsche Übersetzung. Auch die lässt sich ausschalten. Allerdings sollte sie standardmäßig gar nicht aktiviert sein.
Die fehlenden Look-Ups verhindern das Lernen. Laut etablierter Spracherwerbstheorie muss man, um sich eine Sprache anzueignen, die Bedeutung jedes einzelnen Wortes eines Satzes verstehen und dazu, was einem der gesamte Satz sagen will. Die Wörter in Lingodeer kannst du aber nicht innerhalb der App nachschlagen. Damit wird ersteres sehr schwer.
Stattdessen gibt es auch hier Multiple-Choice. Doch da man, wenn man Japanisch verwenden will, nie vor Lückentexten stehen oder sagen muss, ob ein Satz richtig, oder falsch ist, hilft das nicht weiter. Derartige Aufgaben dienen nur dazu, um ein schnelles Glücksgefühl zu erzeugen.
Sinnvolle Sprechübungen
Nach den Leseübungen geht es direkt mit Sprechen weiter. Hier konzentriert man sich zunächst auf Shadowing. Es wird ein Satz vorgesprochen und man kann sich beim nachsprechen aufnehmen. Danach kann man Aufnahme und Original vergleichen.
Ein guter Einstieg! Ich muss sagen, dass mich das überraschte. Denn genau eine derartige Funktion ist durchaus sinnvoll für die ersten Sprachübungen. Doch nur die wenigsten Apps bieten so etwas an.
Fehlende Anleitung: Problematisch ist hier nur, dass Lingodeer nicht erklärt, wie man diese Sprechübungen nutzen sollte. Auch bei der Vorschau fehlt die Kontrolle und es wird nur der selbst aufgenommene Teil vorgesprochen. Zudem wäre es sinnvoll, vor einer derartigen Aufgabe den Pitch-Akzent des Japanischen zu erklären.
Vorgefertigte Sätze und Kanji
Dazu gibt es noch einen Abschnitt für Phrasen. Hier kannst du dir Wörter und Sätze ansehen, die bei einer Reise helfen könnten und sie direkt nachsprechen. Der Nutzen ist allerdings fragwürdig. Denn einmal lernt man hier vieles mit so gut wie keinem Kontext, was es sehr schwer macht, es sich zu merken. Und wenn man Japanisch noch nicht gut genug versteht, wird man mit der Antwort auf diesen voreiligen Output nicht viel anfangen können.
Schreibübungen für Kanji bilden den letzten großen Teil. Hier kannst du Kanji üben, indem du sie nachzeichnest und siehst dazu eine mögliche Aussprache. Das Problem nur: Kaum wer muss heutzutage noch Kanji von Hand schreiben und um sie zu lesen, hilft das lernen einer einzigen isolierten Aussprache nicht weiter.
Ab Fortgeschritten wird es besser
Lingodeer legt problematische Grundlagen. Im weiteren Verlauf wird es jedoch besser. Das Fortgeschrittene Level konfrontiert dich direkt mit einem im normalen Tempo vorgelesenen Gespräch und hier kannst du durch Anklicken auch jedes Wort nachschlagen. Allerdings nur, wenn du dir einen Premium-Zugang geholt hast.
Das zwei größten Probleme: Die Übersetzung wird direkt eingeblendet und lässt sich verstecken. Es sollte jedoch eher andersrum sein. Denn das Ziel ist, Japanisch auf Japanisch zu verstehen und dich mit der Übersetzung nur selbst zu kontrollieren. Zudem erhält man für jedes Wort nur eine einzige Übersetzung, die nicht immer ganz treffend sein muss. Erneut muss man hier selbst darauf kommen, wie man die App am besten verwendet.
Die späteren Schreibübungen helfen dir hingegen nicht weiter. Denn hier geht es wieder nach dem typischen Schema vor: Lückentexte mit Auswahlmöglichkeit. Viele Felder haben gar nur eine einzige Auswahl. Und dazu kannst du dir die Antwort vorsagen lassen. Das bringt dir weder beim eigentlichen Spracherwerb, noch für besseres Schreiben etwas. Im Bestfall verbesserst du mit diesen Schreibübungen dein Gehör.
Die sinnvollen Features sind teuer
Lingodeer lässt sich nicht wirklich empfehlen. Einsteigern macht es das Lernen schwerer und die späteren sinnvollen Features sind sehr teuer. Denn es ist die preisintensivste Sprachlern-App, die ich kenne:
- 15,99 Euro pro Monat
- 94,99 Euro pro Halbjahr
- 180,00 Euro im Jahr
- 540,00 Euro Lifetime-Zugang
Wie du sie richtig nutzt, musst du dann selbst herausfinden. Doch wer sich diesen Aufwand macht, kann bereits mit kostenlosen Apps ein effektiveres Lernumfeld erschaffen, das zudem nicht an eine Reihe vorgegebener Geschichten gebunden ist.

Ich bin der Betreiber von Kawaraban und beschäftige mich seit 2007 mit Japan und seiner Sprache.
Ich habe einen Bachelor of Arts in Japanologie erworben und ein Austauschstudium an der Senshu-Universität absolviert.
Seit 2018 lebe ich in Japan und berichte über das Land und mein Leben hier.
Eines meiner Ziele ist es, zukünftigen Generationen bessere Erklärungen zur Sprache zu bieten, als ich sie zur Verfügung hatte.