Wagotabi: A Japanese Journey ist ein Spiel, das dir Japanisch beibringen will. Dafür reist du durch das Land, sammelst immer mehr Sprachwissen und erledigst zahlreiche Aufgaben, bei denen du dein Wissen anwenden musst. Damit will man sich vor allem von traditionellen Lehrmethoden verabschieden. Jetzt ist nur die Frage: Kann man so wirklich Japanisch lernen?
Das bietet Wagotabi
Einstieg mit frühen Fehlern
Das Spiel beginnt mit einer kleinen Anspielung auf Pokémon: Ein Professor erklärt dir die Welt und bereitet dich auf das Japanischlernen vor. Allerdings wird auch schnell klar, dass man die Behauptungen des netten Kinoko Sensei wohl besser selbst überprüft.
Denn es dauert kaum drei Sätze, bevor er ungenau wird: Er bezeichnet Hiragana als Silbenlaute. An sich ist das korrekt. Es verschweigt jedoch die Besondersheit: Es sind Moren. Der wichtigste Unterschied zwischen beiden ist, dass Silben nicht getaktet sind, Moren hingegen schon. Und das ist bei der Aussprache wichtig.
Auch die deutsche Übersetzung krankt: So stößt man etwa auf Formulierungen wie "eine Udon" während grammatische Partikeln sehr gerne auch als "das Partikel" oder "der Partikel" bezeichnet werden. Es gibt nichtmal Konsistenz bei diesem Fehler. Zumindest auf letzteres machte ich die Entwickler bereits vor Monaten aufmerksam. Korrigiert hat man es trotz zahlreicher Lokalisationspatches dennoch nicht.
Belangloser Einstieg
Nach der Einführung beginnt die Reise und du lernst deine ersten Hiragana und Wörter. In Wirklichkeit lernst jedoch erst einmal nur Namen und übst, indem du die richtigen Hiragana zusammenklickst, um das Wort zu bilden. Später wird das auf ähnliche Aufgaben mit Lösungsvorschlägen erweitert. Lerntechnisch gesehen bringt jedoch beides nichts, sondern hält dich nur auf.
Das sage ich nicht nur so: Derartige Aufgaben wurden wissenschaftlich immer nur genutzt, um Sprachkenntnisse zu überprüfen. Die verlinkte Studie erwähnt das in der Einleitung:
Obwohl der Lückentest eine scheinbar einfache und effiziente Methode zur Messung von Sprachkenntnissen ist [...]
Diese Tests existieren nicht, um Sprachen zu lernen. Und wenn nur wenige Sekunden zuvor die Antwort vorgesagt wurde, wirst du die Aufgaben natürlich problemlos richtig haben. Das eigentliche lernen war jedoch nur, dass du ein Wort gesehen hast und ihm eine Bedeutung zuordnen konntest. Es nun nochmal zusammenzuklicken, hilft nicht.
Es geht weiter mit erster Grammatik. Und bereits hier macht es Fehler. Es behauptet, Japanisch habe Konjugationen. Was jedoch einfach nicht der Fall ist. Und den Grund, wieso diese Ansicht in der japanischen Linguistik stark kritisiert wird, präsentiert das Spiel auch direkt: Umständlich lange Konjugationstabellen.
Das ist das Spiel: Das gesamte Spiel dreht sich letztendlich darum, dass du einige Schritte läufst. Dann einige neue Vokabeln und Grammatik präsentiert bekommst und immer wieder diverse Zusammenklickaufgaben löst. Entsprechend schlecht kommst du hier mit dem Spracherwerb voran.
Motivierend, aber sinnvoll?
Motivierende ist die Wortsammelei durchaus. Selbst ich, der die Wörter bereits kennt, kann nicht leugnen, dass es Spaß macht, immer mehr davon zu sammeln. Allerdings fußt diese Freude nicht auf einem echten Lerneffekt. Sonden eher dem Vergrößern von Zahlen. Und das funktioniert bei so ziemlich jedem Spiel.
Vokabeln kannst du zudem jederzeit wiederholen. Dafür gibt es gar ein SRS-System im Spiel. Sie werden also basierend darauf sortiert, wie gut du sie kannst. Parallel dazu levelst du die einzelnen Wörter hoch. Allerdings gibt es keine Informationen darüber, welches es nutzt.
Gerade zu Beginn bringt das aber eher wenig. Denn als Anfänger lernst du erst einmal sehr häufige Wörter, denen du beim lesen und hören an sich immer wieder begegnest. Damit wiederholst du sie stets passiv und Vokabelkarten helfen kaum noch. In Wagotabi hingegen werden sie etwas sortiert. Du brauchst gerade die Wörter vorangig, die man dir eben beigebracht hat.
Wortschatz mit Umwegen
Man kann mit dem Spiel durchaus ein paar Vokabeln lernen. Nachdem du neue gelernt hast, verwendet sie so ziemlich jeder NPC. Da du so Nachrichten verstehen kannst, können die Wörter auch hängenbleiben. Allerdings wird dieser Lernablauf durch das Spiel stark in die Länge gezogen.
Mit Rätseln die Sprache üben: Dabei lassen sich auch gute Ansätze erkennen. Die Idee, mit den gewonnenen Sprachkenntnissen wichtige Informationen in Erfahrung zu bringen, ist etwa durchaus sinnvoll. Nur so findest du heraus, wo du bestimmte Orte oder Personen findest. Allerdings wird dieser gute Ansatz schnell getrübt.
Denn das Japanisch ist sehr unnatürlich. Konversationen laufen in Japan nicht so ab, dass jeder sich fix vorstellt und zusammenhanglos erklärt, jemand sei Japaner oder nicht. Und auf Fragen, die das Thema bereits nennen, antwortet man nicht mit erneuter Nennung des Themas. Es ist der klassische Lehrbuchstil. Dazu setzt man auf Stimmsynthese, die oft künstlich klingt. Meine japanische Frau amüsierte sich regelmäßig über die Aussprache.
Dazu kommen Fehler: Wenn mir das Spiel mitteilt, die von mir gesucht Person ist "Im linken Zuhause von Rakuen.", das einzige Gebäude aber ein Noh-Theater ist, dann renne ich nur verwirrt rum. Denn man nutzt explizit das Kanji 家, was aber nunmal eine Wohnung beschreibt, wo jemand lebt. Kein Theater. Nimmst du die Information des Spiels hingegen als Anfänger auf, denkst du nun, dass 家 einfach jedes mögliche Gebäude beschreiben kann.
Der Weg zur Hölle
Man prägt sich also gar noch falsche Sprechmuster und Aussprache ein. Gerade für Anfänger, an die es sich richtet, ist das problematisch. Denn deren innerer Monolog beim Lesen von Japanisch wird davon geprägt. Zu Beginn ist es besonders wichtig, von Muttersprachlern zu hören, wie Japanisch klingt. Eigenheiten wie den Pitch-Akzent nennt das Spiel nicht einmal.
Zudem animiert es zum Early-Output: Bereits sehr früh soll man damit beginnen, selbst Sätze zusammenzusetzen. Doch zu diesem Zeitpunkt fehlt es einem noch komplett an Kontakt mit der Sprache. Es regt dazu an, auf Deutsch zu denken und denn mit der Anwendung von Regeln Japanisch zu bilden.
Das ist besonders problematisch! Denn es hilft nicht nur, sondern schadet gar. Dieser Ablauf festigt Denkweisen, die auf lange Sicht in nur gebrochenen Sprachkenntnissen resultieren. Als Anfänger sollte man deswegen bewusst davon absehen, beim Sprechen so früh mehr zu machen, als reines 1:1 kopieren des Gehörten.
Fehlender Realismus schadet dem Lernen
Die NPCs in Wagotabi sprechen zudem einen Mischmasch. Jeder hat nur einige japanische Sätze auf Lager, springt dann aber liebend gerne wieder zu Deutsch, bzw. der eingestellten Spielsprache. Das schadet nicht nur der Atmosphäre, sondern reduziert auch den Lerneffekt.
Dabei hätte man gerade hier die Chance gehabt, ein realistisches Sprachumfeld zu schaffen. Nämlich, indem man quasi eine Japanreise simuliert und die Spieler dauerhaft auch mit unbekannten Wörtern konfrontiert - wie es in Japan nunmal der Fall wäre. Dazu hätte man ein Wörterbuch bekommen und hätte sich zurechtfinden können, während man sich die Sprache wirklich aneignet.
Die großen Prüfungen
Ziel des Spiels ist es, sämtliche Großmeister des Japanischen zu schlagen. In deren Festungen musst du eine Reihe von Rätseln und Gesprächen mit den bisher gezeigten Wörtern und Kanji lösen.
Deine große Zwischenprüfung setzt aber gar auf falsches Japanisch! Es ist also nicht nur unnatürlich, wie zuvor bereits genannt. Etwa fragt mich jemand "私は何を食べますか。" (Was esse ich?) obwohl es darum geht, was sie aktuell gerade ist. Weswegen man hier 食べている nutzen müsste.
Auch wird etwa oft etwas wie "X市で何を作ります。" gefragt und es wird erwartet, dass du antwortest, was in dieser Stadt hergestellt wird. Allerdings bedeutet die genannte Frage "Was stellst du in der Stadt her?" Dieses Probem ist zudem nicht nur auf die Prüfungen beschränkt.
Einige Fragen drehen sich nichtmal explizit um deine Japanischkenntnisse. Etwa musst du auch Fragen zu den Personen beantworten, denen du bisher begegnet bist. Die sind jedoch so generisch und farblos, dass es schwer fällt, sich daran zu erinnern. Entsprechend schlägst du öfter fehl und musst dich dann noch einmal durch alle bis dahin gestellten Fragen klicken.
Selbst ich musste bei den Fragen immer wieder nachdenken. Aber aus den komplett falschen Gründen. Nämlich nicht, weil ich das Japanisch nicht verstand. Sondern ganz einfach, weil die Schwierigkeit nur ist, zu entziffern, was das Spiel gerade hören will und mit welchen Blöcken ich das nun zusammensetze.
Mit natürlichen Sprachgefühl kommst du hier nicht weit. Denn das Spiel sucht keine natürlichen Antworten auf seine Fragen. Zudem musste ich immer wieder überlegen, was das Spiel nun mit so konfusen Aussagen wie "Gegenwart Negativ Neutral NAI-Form" genau meint. Denn es ist ein überaus umständlicher Weg, über japanische Grammatik nachzudenken. Für mich war es aufwendiger als The Great Ace Attorney auf Japanisch zu spielen und dessen Rätsel zu lösen.
Das ist keine Immersion!
Die Entwickler versprechen mit dem Spiel Immersion. Allerdings scheinen sie nicht verstanden zu haben, was das bedeutet und sich auch sichtlich nicht großartig mit Spracherwerb beschäftigt. Die Entwickler mögen Japanisch können. Doch wenn man ein Spiel rund ums Sprache lernen machen will, benötigt man Fachwissen darüber, wie Menschen Sprachen lernen.
Wagotabi wirkt eher, als habe jemand Genki genommen und in ein Spiel verwandelt. Begonnen beim Ablauf, der mit です und ます beginnt, eh man die normalen Verben ohne Kombination mit Hilfsverben zeigt, über die unnatürlichen Gesprächsverläufe bis hin zu den umständlichen und linguistisch falschen Erklärungen der Sprache.
Man erfährt auch nicht, wie man über Lehrmaterial hinauswachsen soll. Obwohl es also das Ziel war, genau solchen traditionellen Methoden den Rücken zu kehren, ist Wagotabi nur ein weiterer Vertreter dieser.
Mit richtigen Spielen lernt man besser
Ich bin ein absoluter Fan davon, mit Spielen zu lernen. Doch Wagotabi stößt an die üblichen Probleme: Es ist kein Spiel zum lernen, es ist eine Lernapp, um die man ein Spiel gebaut hat. Das oftmals falsche Japanisch alleine disqualifiziert es bereits. Dazu kommen weitere typische Probleme derartiger Lernapps: Der Sprachkontakt ist zu marginal. Stattdessen versteift man sich auf typische Übungsaufgaben, die beim Spracherwerb jedoch keine Rolle spielen.
Dabei geht spielerisches Lernen sehr einfach: Man muss nur irgendein Spiel auf Japanisch spielen und mit einem Wörterbuch alles durchgehen, was man noch nicht versteht. Wagotabi macht diesen simplen Vorgang komplizierter, als er sein muss, vergeudet damit wertvolle Zeit zum wirklichen Lernen, und trainiert dir im schlimmsten Fall noch Probleme an.

Ich bin der Betreiber von Kawaraban und beschäftige mich seit 2007 mit Japan und seiner Sprache.
Ich habe einen Bachelor of Arts in Japanologie erworben und ein Austauschstudium an der Senshu-Universität absolviert.
Seit 2018 lebe ich in Japan und berichte über das Land und mein Leben hier.
Eines meiner Ziele ist es, zukünftigen Generationen bessere Erklärungen zur Sprache zu bieten, als ich sie zur Verfügung hatte.