Die kurze Antwort lautet: Ja. Und genau das tun die meisten Lerner, wenn sie westliche Lehrbücher wälzen und Kurse besuchen. Das Ergebnis ist, dass viele nie ein wirkliches Sprachniveau erreichen. Der Grund: Diese Bücher und Kurse wurden speziell für Westler erschaffen.
Jetzt kann man natürlich sagen: “Aber Mathias! Das ist doch genau das, was du auch machst!” Und das ist richtig. Mit zwei wichtigen Unterschieden:
- Infos von der Quelle: Obwohl ich natürlich für Lerner schreibe, beziehe ich mich auf Quellen, die von Japanern für Japaner geschrieben wurden und mache nur diese Infos für jene verständlich, die noch kein Japanisch können. Klassische Kurse und Lehrbücher haben jedoch ihre eigenen Regeln für Japanisch entwickelt, die die Grammatik der westlichen angleichen sollen, um das Verständnis zu erleichtern. Das hat jedoch den gegenteiligen Effekt und führt dazu, dass die zugrunde liegende Logik des Japanischen nicht mehr erkennbar ist, da unsere Sprache einem völlig anderen grammatikalischen System folgt und es nur wenige Überschneidungen gibt.
- Immersion statt Übungen: Der zweite große Unterschied besteht darin, dass ich auf Übungen verzichte, die spezielles Wissen erfordern. Ich gebe einfach Sätze aus Werken zum Übersetzen, die von Japanern für Japaner verfasst wurden. Denn das ist der beste Weg, um die Sprache zu lernen – indem man sich ein komplettes Werk vornimmt. Denn die Immersion ist etwas, das kein Kurs der Welt und kein Lehrbuch vermitteln kann. Man muss sie aktiv suchen. Und man kann dazu ermutigen, was jedoch viel zu selten getan wird.
Die Kritik fehlt: Nur leider werden problematische Lernpraktiken viel zu selten kritisiert. Denn Lernen an sich ist etwas Gutes, und natürlich will man nicht demotivieren. Umso wichtiger finde ich es aber, genau dieses Thema anzusprechen. Denn problematische Vorgehensweisen demotivieren auf Dauer viel mehr, als wenn man Fehler frühzeitig akzeptiert und sein Vorgehen anpasst.
Das Lernumfeld von Kursen eignet sich nicht für Lerner
Man kann natürlich auch ein wenig Japanisch in Kursen lernen. Das allerdings nur, weil man natürlich zwangsläufig der Sprache ausgesetzt wird. Aber das geschieht nicht auf eine natürliche Art und Weise. Du wirst dort keinem Japanisch ausgesetzt, das Japaner im Alltag verwenden. Du wirst Japanisch von Menschen ausgesetzt, die es gewohnt sind, mit Ausländern zu sprechen und daher ihre Formulierungen anpassen. Zudem hörst du das Japanisch deiner Mitschüler, die ebenfalls keine Muttersprachler sind und selbst noch lernen.
Ein ungewünschtes Umfeld: Sprachkurse schaffen damit paradoxerweise ein Umfeld, in dem man eine Sprache nicht wirklich lernen möchte. Denn dein Ziel ist, in einem Umfeld klarzukommen, in dem alle einfach nur Japanisch sprechen, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass jemand Ausländer ist. Bücher, Filme und Co. erreichen genau das. Denn sie scheren sich nicht darum, wer gerade vor ihnen sitzt. Mit derartigen Methoden kannst du das Immersionserlebnis also wesentlich effektiver gestalten.
Da diese klassischen Lernmethoden leider sehr weit verbreitet sind, haben sich im Bereich des Japanischlernens recht fragwürdige Aussagen etabliert. Zum Beispiel: “Nach 6 Monaten ein Buch lesen zu können ist eine Spitzenleistung, die nur wenige schaffen!” Die Wahrheit ist: Das stimmt nicht. Jeder kann das schaffen. Es lernen nur die wenigsten richtig.
Jeder kann “Überflieger” sein
Was bedeutet es, ein Buch zu lesen? Natürlich muss man seine Erwartungen etwas anpassen. Viele erwarten, dass sie sich wie vor ein deutsches Buch setzen und alles verstehen. Aber das wird nicht passieren. Ganz im Gegenteil. Du wirst nicht das flüssigste Leseerlebnis haben. Aber das ist ganz normal. Denn du lernst mit dem Buch. Entsprechend ist es natürlich etwas Aufwand, um da durchzukommen. Doch so erhälst du Immersion, mit der du dein Japanisch übst und verbesserst.
Viele Leute gehen hier leider immer nach dem Motto vor: “Ich lerne Hiragana, dann Katakana und dann kommen die Kanji!” Mit der Perspektive: “Wenn ich alle Kanji kann, fange ich an zu lesen!” Das hält allerdings nur auf. Ein Beispiel:
Koguma no Kuuku Monogatari: Haru to Natsu ist ein Buch mit etwa 7.000 Wörtern. Es hat insgesamt 1380 einzigartige Wörter und in ihm tauchen nur 195 einzigartige Kanji auf. So etwas nach einem halben Jahr Lernen lesen zu können, ist kein Problem und man muss dafür bei weitem nicht alle Kanji kennen. Außerdem gibt es noch Furigana, also Lesehilfen für die Kanji.
Nicht jedes Buch ist gleich: Lässt sich die Idee, dass man für sowas erst jahrelang lernen muss, überhaupt noch verteidigen? Dennoch ist sie weit verbreitet und offenbar auch als normal akzeptiert.
Von Nichts kommt Nichts
Nach den Kursen, die ich besucht habe (darunter 4 Jahre Universitätskurse), hätten vielleicht zwei Personen dieses Buch verstanden. Warum? Weil sie die Immersion außerhalb der Kurse gesucht haben, um lesen zu lernen, und weil die Kurse selbst nicht darauf abzielen, ein solches Buch lesen zu können.
Arbeite auf das Ziel hin! Viele wären wahrscheinlich schon nach den ersten Sätzen demotiviert gewesen, weil sie sie nicht verstanden hätten, obwohl sie so lange gelernt haben! Aber es ist, als würde man versuchen, Schwimmen zu lernen, indem man Fahrrad fährt. Natürlich trainiert man seine Fitness, aber mit einem ganz anderen Ziel. Nur würde sich ein Radprofi wohl kaum fragen, warum er nicht auch Profi-Schwimmer ist, wenn er vorher noch nie geschwommen ist.
Japanisch lesen lernst du nur, wenn du japanische Bücher liest. Japanisch sprechen lernst du nur, indem du Japanisch sprichst. Japanisch hören lernst fu nur, wenn du Japanisch hörst. In Kursen lernst du vor allem, wie du Kursaufgaben löst. Du solltest dich nur fragen: Willst du Kursaufgaben lösen oder willst du ein Buch lesen können?
Und wann immer du jemanden triffst, der Japanisch spricht, und wissen willst, wie er so weit gekommen ist, solltest du nicht fragen “Wo hast du gelernt?”, sondern “Wie viel Zeit hast du mit Immersion verbracht?”. Das fällt leider viel zu oft unter den Tisch, obwohl es der ausschlaggebende Faktor für die Sprachkentnisse ist. Denn niemand kommt aus einem Kurs und kann Japanisch. Es sind unzählige Stunden der Immersion, die das möglich machen. So viele, dass die kurze Zeit in einem Kurs dagegen ohnehin verblasst.
Ich bin der Betreiber von Kawaraban und beschäftige mich seit 2007 mit Japan und seiner Sprache.
Ich habe einen Bachelor of Arts in Japanologie erworben und ein Austauschstudium an der Senshu-Universität absolviert.
Seit 2018 lebe ich in Japan und berichte über das Land und mein Leben hier.
Eines meiner Ziele ist es, zukünftigen Generationen bessere Erklärungen zur Sprache zu bieten, als ich sie zur Verfügung hatte.