Arbeit in japan

Arbeit in Japan: Wirklich ein Leben für den Job?

Dem Klischee zufolge sollen die Arbeitszeiten in Japan extrem lang sein. Immerhin gibt es endlos viele Überstunden und die Firma vor dem Chef zu verlassen, ist inaktzeptabel! Doch auch, wenn sich diese Aussagen wundervoll verbreiten, sieht die Realität heutzutage ganz anders aus.

Die Arbeitszeit Japans im Vergleich

Die Organisation für Ökonomische Kooperation und Entwicklung (OECD) ermöglicht einen Einblick in die Arbeitszeiten. Laut denen arbeitete ein durchschnittlicher Japaner im Jahr 2020 etwa 1.598 Stunden. Umgerechnet sind das 30,7 Stunden pro Woche.

Alleine bringt so eine Zahl aber natürlich ziemlich wenig. Ein Vergleich mit anderen Ländern basierend auf den Werten der OECD ist wegen unterschiedlicher Erhebungsmethoden nicht ideal. Dennoch ist es die beste Quelle, um sich zumindest einen Überblick zu verschaffen. Deswegen jetzt mal eine Reihe von Ländern mit mehr jährlichen Arbeitsstunden:

  • USA (1.767 Stunden) – 34 Stunden pro Woche
  • Griechenland (1.728 Stunden) – 33,2 Stunden pro Woche
  • Kanada (1.644 Stunden) – 31,6 Stunden pro Woche
  • Portugal (1.613 Stunden) – 31 Stunden pro Woche

Der Vergleich mit Deutschland: Japan arbeitet dem landesweiten Schnitt zufolge also weniger, als viele westliche Nationen. Allerdings verbringen sie wesentlich mehr Zeit mit ihrem Beruf, als Deutsche. Deutschland ist nämlich der Spitzenreiter für Arbeitnehmer in diesem Aspekt! Dort verbringst du im Durchschnitt nur 1.332 Stunden jedes Jahr auf Arbeit – also 25,6 Stunden pro Woche.

Allerdings können reine Zahlen den eigentlichen Zustand auch ein wenig verfälschen. Immerhin sind in Japan etwa auch Trinkgelage mit der Firma durchaus verbreitet. Und die werden wahrscheinlich nicht auf die Arbeitszeit angerechnet werden. Da kann also der ein oder andere Tag nochmal komplett verplant sein, obwohl du nicht arbeitest.

Gleichzeitig kommst du da als Ausländer auch ganz gut herum. Wenn du an sich daran interessiert bist, in Japan zu arbeiten, dann lohnt sich ein Blick in den folgenden Artikel:

Wie sieht Arbeit in Japan aus?

Wenn ich mit Japanern über ihren Beruf spreche, beschreiben sie mir nur selten das typische Klischeebild. Um genau zu sein, tat es nur eine Frau ein einziges Mal. Und die weiteren Anwesenden erklärten darauf, dass es sich dabei um eine “Schwarze Firma” handelt. Also eine Firma, die wenig Wert auf das Wohl ihrer Angestellten setzt. Als normal wurde das nicht angesehen.

Als Deutscher in Japan arbeiten: Ich selbst habe nicht viel Zeit in japanischen Firmen verbracht. Ich arbeitete nur etwa drei Monate lang bei einer, die ebenfalls keine Überstunden forderte. Nach acht Stunden war Feierabend und man konnte gehen. Die zuvor genannten Trinkgelage waren komplett freiwillig. Bist du nicht aufgetaucht, hat dir das niemand übel genommen. Entsprechend waren auch nicht immer alle anwesend.

Auch im Gespräch mit einem Barkeeper habe ich erfahren, dass er eigentlich auch einen recht normalen Arbeitstag hat und auch genügend freie Tage zwischen seinen Schichten. Von Überarbeitung war da nicht die Rede. Es wirkte nur so, als seien die Arbeitszeiten mitten in der Nacht manchmal durchaus ermüdend. Aber das ist eine andere Geschichte und gehört wohl zum Barkeeperleben dazu.

Mehr zu seinem Arbeitsalltag erfährst du im folgenden Interview:

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Ursprung der Klischees

Im tatsächlichen Japan ist das Arbeitsleben also wesentlich gemäßigter als es das Bild im Westen vermuten lässt. Wo kommen also die Klischees her? Den Zahlen zufolge aus der Zeit der Bubble-Economy, die bis in die frühen 90er Jahre andauerte. Da war der Zustand nämlich noch ein ganz anderer.

1970 arbeitete der durchschnittliche Japaner ganze 2.243 Stunden im Jahr – 43 Stunden pro Woche. Also grob 600 Stunden mehr als 2021. Seitdem sinkt der Wert jedoch stetig. Bis 1975 konnte man ihn schon auf 2.112 Stunden – 40,6 pro Woche – senken.

Den zweiten rapiden Sturz gab es 1993 auf 1.905 Stunden. Der bisher letzte Sprung folgte dann im Jahr 2017 auf die jetzigen 1.598 Stunden, Tendenz weiterhin fallend. Seit 2000 arbeitet man in Japan damit unterdurchschnittlich viel, wenn man die Arbeitszeit im Vergleich mit den anderen OECD-Ländern betrachtet.

Auch in Deutschland sinken die Arbeitszeiten. Allerdings nicht so rasant. Das Corona-Jahr 2020 brachte hier den einzigen großen Schritt von 1.382 auf die jetzigen 1.332 Stunden.

Wie viele Überstunden gibt es?

Aber bedenke: Nur weil der Durchschnitt sinkt, heißt das nicht, dass es in Japan gar keine Jobs mehr mit Überstunden und Arbeit bis spät in die Nacht hinein mehr gibt. Dieser Teil mag in der Minderheit sein, ist aber dennoch weitläufig vertreten.

Etwa 20-30 Prozent haben mit mehr als 48 Stunden pro Woche noch durchaus viele Überstunden. Bei denen siehst du das allseits bekannte Bild vom überarbeiteten Japaner, das sich natürlich wesentlich einfacher verbreitet als “Die meisten Japaner arbeiten nur wenige Stunden mehr pro Woche als in Deutschland.”

Umfragen zufolge hat der durchschnittliche Japaner im Schnitt nur noch etwas mehr als 20 Überstunden pro Monat. Die meisten gibt es mit bis zu 40 Überstunden monatlich gerade im Bereich des Bauwesens.

Die Antworten stammen von Arbeitnehmern, die keinen Grund haben, die Zahlen nach unten zu verfälschen. Die Firmen selbst melden hingehen häufiger geringere Arbeitszeiten.

Die verschiedenen Lebensweisen Japans

Die Gründe für den Rückgang von Arbeitszeit und Überstunden sind jedoch vielzählig. Ende der 80er sorgte eine Reihe von Gesetzen dafür, dass die wöchentliche Arbeitszeit auf 40 Stunden reduziert und die 5-Tage-Woche eingeführt wurde. Grund dafür war vor allem Kritik der USA und EU, sowie der japanischen Arbeiter selbst, welche die damals vorherrschende Arbeitsmoral in Frage stellten.

Dass der Durchschnitt in den letzten Jahren so stark sinkt, ist hingegen ein Spiegelbild der verschiedenen Lebensstile im Land. Denn dafür soll vor allem ein Zuwachs vieler (hauptsächlich weiblicher) Teilzeitarbeiter gesorgt haben. Gleichzeitig sinkt aber auch der Anteil der Arbeiter, der mehr als 60 Stunden pro Woche arbeitet.

Die meisten Japaner, etwa die Hälfte, kommt auf 35-48 Stunden jede Woche. 15 Prozent arbeiten weniger. Die Statistik wird aber nicht einfach durch Studenten in Minijobs gedrückt. Es gibt beispielsweise auch Freiberufler, die ihren Lebensunterhalt ohne Vollzeitjob finanzieren können. Wie mein eigener Alltag als Freelancer in Japan aussieht, erkläre ich dir in dem folgenden Video:

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Laut den Zahlen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin arbeitet man in Deutschland etwas weniger als 43 Stunden pro Woche – was sich natürlich von den eingangs genannten OECD-Zahlen unterscheidet. Der Grund könnte sein, dass die BAuA nur Berufe mit mindestens 10 Stunden pro Woche in ihre Statistik einbezieht.

Kampf gegen Überstunden

Gesetze gegen Überstunden gibt es in Japan schon länger. 40 Stunden oder mehr die Woche waren schon seit Jahren nicht legal, außer es gab eine spezifische Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Manche Gesetze werden jedoch gerade in bürokratischen Berufen gerne ignoriert. Im öffentlichen Dienst sind etwa 360 Überstunden pro Jahr erlaubt. Im Parlament gar bis zu 720. Doch in eine Umfrage unter Arbeitnehmern ergab ein ganz anderes Bild. Hier äußerten 80 Prozent der Arbeiter, die im April 2021 anfingen, den Wunsch nach weniger Überstunden. Sie erklärten, der beste Weg, mehr Menschen in diesen Beruf, zu locken, sei eine Reduzierung der Überstunden. Denn die gesetzlichen Limits werden häufig einfach ignoriert.

Die jüngsten Gesetze stammen aus den Jahren 2019 und 2020 und tragen wenig dazu bei, die Lage zu verbessern. Laut denen dürfen Firmen insgesamt sechs Monate pro Jahr bis zu 100 Überstunden monatlich verlangen. Diese neue Regelung sorgte in der Bevölkerung auch für viel Kritik.

Konservative sehen es als Schritt zu weniger Arbeit. Kritiker befürchten, dass das Gegenteil das Resultat sein wird. Denn es sind zwanzig Stunden mehr als das offiziell festgelegte Limit von 80 Stunden monatlich, ab dem das Leben der Angestellten in Gefahr ist. Denn “Tod durch Überarbeitung” ist real und hat in Japan ein eigenes Wort bekommen “Karoshi”.

Der Tod durch Überarbeitung

Der erste bekannte Karoshi-Fall war ein 29 Jahre junger Mann, der im Jahr 1969 urplötzlich an einem Schlaganfall starb. Mittlerweile ist das Problem offiziell anerkannt und gilt als haftungspflichtige Todesart. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber Schadenersatzzahlungen an die Familie der Verstorbenen leisten muss, wenn ein Fall offiziell als Karoshi anerkannt wird.

Allerdings ist die Beweisführung durchaus problematisch. Offiziell werden etwa 150 – 200 entsprechende Todesfälle pro Jahr anerkannt. Aktivisten, die gegen das Problem kämpfen, sprechen hingegen von bis zu 10.000 Fällen jährlich.

Das klingt jetzt jedoch danach, als sei das ein rein japanisches Phänomen. Allerdings ist es das nicht. Und gerade durch den Trend des Home Office soll das Risiko für Überarbeitung gestiegen sein, da die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit dadurch immer mehr verschwimmen. Die UN spricht in einer Studie von einem weltweiten Problem, das jedes Jahr 745.000 Menschen das Leben kostet.

Auch Japan ist nicht homogen

Das Gerücht der vielen Überstunden ist also nicht komplett aus der Luft gegriffen. Allerdings ignoriert das Klischee, wie so oft, dass Japan nicht komplett homogen ist und nicht jeder Mensch automatisch in einer der berüchtigten “Schwarzen Firmen” arbeitet. Die Mystifizierung des Landes durch solche Informationen ist jedoch ein Jahrhunderte altes Problem, über das du im folgenden Artikel mehr erfährst.

In Japan arbeitest du durchschnittlich in der Tat mehr als in Deutschland. Extreme Auswüchse mit mehr als 60 Stunden pro Woche sind in Japan zwar vertreten und auch das häufiger als in Deutschland, jedoch nicht die Normalität.

Profilbild von Mathias Dietrich

Ich bin der Betreiber von Kawaraban und beschäftige mich seit 2007 mit Japan und seiner Sprache.

Ich habe einen Bachelor of Arts in Japanologie erworben und ein Austauschstudium an der Senshu-Universität absolviert.

Seit 2018 lebe ich in Japan und berichte über das Land und mein Leben hier.

Eines meiner Ziele ist es, zukünftigen Generationen bessere Erklärungen zur Sprache zu bieten, als ich sie zur Verfügung hatte.

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