Wie ist es, in einer japanischen Kleinstadt zu leben?
Extrem pünktliche Züge, ein aufregendes Nachtleben und Konbinis an jeder Ecke. Ich glaube, so kennen die meisten Japan. Allerdings ist das nicht wirklich Japan, sondern nur das Großstadtleben Japans. Auf dem Land sieht der Alltag nämlich etwas anders aus. Den habe ich mehr als einen Monat gelebt, um dir jetzt davon zu erzählen!
Sieh dir das Leben in der Kleinstadt an: Wenn du nicht nur über das Kleinstadtleben in Japan lesen, sondern direkt auch bewegte Bilder dazu sehen willst, dann wirf am besten einen Blick auf meinen Youtube-Kanal, wo ich dir davon während einer Stadtwanderung berichte. Wenn dir derartige Videos gefallen, kannst du zudem direkt meinen Kanal abonnieren!
Wie sind japanische Städte aufgebaut?
Ein fließender Übergang: Wo genau in Japan die Großstadt aufhört und das Land anfängt, ist relativ schwer zu sagen. Während du in Deutschland oftmals eine klare Grenze mit Ortseingangsschild hast, und die Stadt damit eine klare Grenze, ist der Übergang in Japan wesentlich fließender. So fließend, dass dir manchmal wahrscheinlich nichtmal auffällt, wenn du in eine andere Stadt gehst.
So fühlt sich das an
Stadtleben abseits der Metropole: Normalerweise lebe ich in der Innenstadt von Hiroshima, das bekanntermaßen bereits ein ganzes Stück kleiner ist als Tokio, und mache manchmal einen kleinen Ausflug in Richtung Miyajima. Dafür nutze ich die Straßenbahn, die hier im übrigen regelmäßig einige Minuten Verspätung hat. Keine Zustände wie in Deutschland, aber sie kommt nicht so pünktlich, wie es die meisten nach den zahlreichen Berichten über den Bahnverkehr von Tokio erwarten würden.
Japan ist wie das Ruhrgebiet: Mit der Straßenbahn fahre ich dann bis nach Hatsukaichi, was bereits eine andere Stadt ist. Allerdings gibt es während der gesamten Bahnfahrt keinen einzigen Abschnitt, in dem ich keine Häuser sehen kann. Es erinnert damit etwas an das Ruhrgebiet in Deutschland. Allerdings ist das in Japan fast in jeder Stadt so, da sich die Städte auf die Küstenregion konzentrieren.
Die Stadtgrenzen sind nicht offensichtlich: Es fühlt sich entsprechend nicht so an, als ob ich während der Reise jemals Hiroshima verlasse. Schließlich komme ich am Hafen an und nehme die Fähre bis nach Miyajima. Durch den räumlichen Abstand und die Überfahrt denke ich jetzt schon, dass ich in eine andere Stadt fahre – allerdings bleibe ich in Hatsukaichi. Miyajima ist nämlich seit 2005 ein Teil von Hatsukaichi. Diese ganzen Zusammenlegungen von Städten machen es freilich nicht gerade einfach, den Überblick zu behalten, in welcher Stadt du gerade bist.
Plötzlich bist du im Nirgendwo
Ein fließender Übergang: Je weiter du dich von der Innenstadt entfernst, umso ländlicher wird es. Und irgendwann merkst du durchaus, dass du nicht mehr ganz im Mittelpunkt des Lebens bist. Es gibt immer weniger Geschäfte und auch die Anzahl an Passanten lässt nach. Gleichzeitig siehst du immer mehr Natur.
Von welcher Kleinstadt berichte ich? Mich hat es nach Ondo verschlagen, wo ich einen ganzen Monat am Stück gewohnt habe. Das hat eine Fläche von grob 20 Quadratkilometern, auf denen etwa 15.000 Einwohner leben. Damit ist es zumindest noch eine Kleinstadt und nicht komplett auf dem Land. Es geht nämlich noch kleiner.
Ist der ÖPNV auch hier pünktlich? In Ondo siehst du nicht mehr viel von dem angeblich extrem zuverlässigen ÖPNV Japans. Zug und Straßenbahn? Gibt es hier gar nicht, was auch daran liegen könnte, dass Ondo eine Insel ist. Es fährt aber immerhin ein Bus. Probeweise habe ich auch direkt mal geguckt, ob der pünktlich kommt. Und konnte glatt ein paar Minuten Verspätung feststellen. Entschuldigungen? Nichts da! Das ist hier offenbar Alltag. Der Fairness halber ist der Bus aber noch wesentlich pünktlicher als Die Bahn.
Mehr Autos als Einwohner: Die meisten Leute setzen hier aber sowieso lieber auf ihr eigenes Auto und ich muss sagen: Die Straßen sind wirklich gut befahren. Zu gut für meinen Geschmack. Es kommt mir so vor, als fahren hier mehr Autos rum, als die Stadt überhaupt Einwohner hat.
Die Läden in der japanischen Kleinstadt
Viel weniger Konbinis: Japans 24-Stunden-Supermärkte findest du auch hier, allerdings bei weitem nicht an jeder Ecke wie in der Stadt. Es gibt hier insgesamt drei. Einen Seven Eleven, einen Lawson und einen Family Mart. Der nächstgelegenste von meiner Unterkunft aus ist der 7/11, der etwa 30 Minuten Fußweg entfernt ist. Also wesentlich weniger bequem gelegen, als in der Stadt, wo es an so gut wie jeder Ecke einen gibt.
Kein Mangel an Getränkeautomaten: Was es hingegen wesentlich häufiger gibt, sind Getränkeautomaten. Meinem Gefühl nach sind die hier in etwa genauso häufig wie in der Großstadt, aber dafür etwas günstiger. Bei den meisten bekomm ich hier jedes Getränk für nur 100 Yen – weniger als 1 Euro! Und es gibt gar einen für alkoholische Getränke.
Das Bier ist immer kühl! Auch einen offenbar privat geführten Supermarkt gibt es hier. Der ist klein und wirkt ein wenig heruntergekommen. Gekühlte Säfte oder Softdrinks gibt es hier nicht. Die einzigen funktionierenden Kühlschränke sind für den Alkohol reserviert. Und auch hier sind die Preise teilweise etwas niedriger als in der Stadt. Es gibt noch einige größere Supermärkte, die aber etwas weiter entfernt sind. Ebenfalls anders als in der Stadt: Am Wochenende hat dieser Supermarkt geschlossen.
Wie beim Friseur in Deutschland: Aus Deutschland kennst du bestimmt die zahlreichen Wortspiele bei den Namen von Friseurläden. In Japan sind die Reinigungen so drauf! Hier gibt es eine mit dem Namen “Ondori”. Den Witz muss ich nun zwangsläufig erklären: Das ist ein Wortspiel aus “Ondo” – dem Stadtnamen – und “Laundry” – also Reinigung. Sowas ist kein Einzelfall. In Hiroshima gibt es etwa die Reinigung “Pelikan”. Und der Gag hier ist, dass das “kan” mit dem Kanji 乾 geschrieben wurde, das “Trocknen” bedeutet!
Unterhaltung in der Natur
Barbecue mit Wildschweinen: Entspannen geht hingegen in einem kleinen Park, den die Leute häufiger für Barbecue, oder gar zum Zelten nutzen. Manchmal kommen hier sogar Wildschweine vorbei. Offensichtlich stören die sich jedoch nicht an den Menschen und umgekehrt schenken auch die den Schweinen wenig Beachtung. Direkt nebenan ist außerdem ein Strand, wo du kostenlos schwimmen kannst.
Weniger Natur als gedacht: Ich muss sagen, dass ich doch etwas mehr Natur erwartet hätte. Denn viel, das du über Wanderwege erreichen kannst, gibt es hier nicht. Es ist natürlich kein Vergleich zu dem Stadtdschungel in Tokio oder Osaka, aber während ich von Hiroshima aus zeitnah grüne Tempelanlagen oder den Hijiyama erreichen kann, ist hier doch relativ viel zugebaut. Der Meeresblick entschädigt jedoch. In der Stadt bekomme ich den nur am Hafen.
Kein Karaoke auf dem Land: Außer Schwimmen und Wandern kannst du hier außerdem Tennis und andere Ballspiele auf dem Platz spielen. Abseits dessen gibt es aber nicht viel. Karaoke-Hallen? Restaurants? Fehlanzeige. Ich habe aber zumindest eine privat geführte Pizzeria gefunden. Da kannst du die Pizza aber nur abholen und nicht drinnen essen.
Ein idyllischer Schrein: Besonders imposant fand ich hier den wahrscheinlich einzigen Schrein. Dessen Aufgang ist, wie zu erwarten, mit einem Torii markiert und führt auf einen kleinen Berg. Oben angekommen bietet sich dir ein wundervoller Blick über die Landschaft. Eine durchaus beeindruckende Aussicht, auch wenn der meinen Lieblingsschrein in Okimi nicht schlagen kann.
Der einzige Ausländer
Ich bin interessant! Als Ausländer wirst du hier quasi zu einem Wahrzeichen der Stadt. Wenn du nicht gerade asiatisch aussiehst, stichst du ja bereits in Großstädten aus der Masse hervor. In solchen Kleinstädten und Dörfern ist das nochmal extremer. Als ich hier filmte, kam schon manchmal etwa ein Kind an und guckte immer ganz interessiert. Und auf der Straße fragte man mich direkt, ob ich gerade campen bin. Ich schätze, die letzte Annahme hab ich meinem ganzen Kamera-Equipment zu verschulden, das ich mit mir herumtrage.
Unbekannte Sehenswürdigkeiten: In den abgelegenen Gebieten von Japan kannst du teilweise zudem richtig interessante Sehenswürdigkeiten finden. Wie etwa das kleinste Aquarium des Landes. Mehr über das erfährst du in meinem Ausflug nach Suo Oshima!
Ich bin der Betreiber von Kawaraban und beschäftige mich seit 2007 mit Japan und seiner Sprache.
Ich habe einen Bachelor of Arts in Japanologie erworben und ein Austauschstudium an der Senshu-Universität absolviert.
Seit 2018 lebe ich in Japan und berichte über das Land und mein Leben hier.
Eines meiner Ziele ist es, zukünftigen Generationen bessere Erklärungen zur Sprache zu bieten, als ich sie zur Verfügung hatte.