Die Mystifizierung von Japan

Die Mystifizierung von Japan … und wieso sie Käse ist

In Japan gibt es keine Brotbüchsen, du hast ein Bento. Auch gehst du nicht Sakura-Blüten ansehen, sondern zum Hanami! Im Westen werden die alltäglichsten Dinge Japans mystifiziert. Selbst Aspekte, die du aus deiner Heimat kennst, werden oft mit einem japanischen Begriff versehen und als einzigartige Besonderheit hervorgehoben. Der Grund ist stets die “fremde Kultur”. Gesellschaft und Geschichte fallen unter den Tisch.

Das ist keine neue Beobachtung. Bereits im Jahr 1999 äußerte sich Senior-Dozent für Medien an der South Bank Universität in London Phil Hammond zu diesem Thema und erklärte, dass sich nicht nur die Medien bei der Betrachtung von Japan stark auf Unterschiede konzentrieren, sondern auch die Wissenschaft. Und anstatt Erklärungen zu liefern, wird einfach mystifiziert.[1]

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In Japan ist alles anders!

Wenn es um Japan geht, dann wird begonnen beim Journalismus bis hin zu einfachen Gesprächen stets hervorgehoben, wie “anders” das Land ist. Ganz egal ob es um Traditionen oder die Menschen geht. Entsprechend halten sich seit vielen Jahren verschiedene Stereotypen.[2] Dabei wird von Kultur gesprochen, doch häufig lässt sich ein Bild nach dem Motto “Wir und die anderen” ableiten.

Wenn Japan in den Medien auftaucht, wirst du stets erkennen, dass man kleine bizarre Ereignisse hervorhebt und als Abbild des Landes repräsentiert. Besonders berühmt in diesem Zusammenhang dürften die Automaten sein, an denen du gebrauchte Unterwäsche kaufen kannst.

Für kurze Zeit gab es sie wirklich, gleichzeitig waren sie allerdings weniger verbreitet, als es aus den Medienberichten und Erzählungen im Westen hervorgeht. Eine Tatsache, die ich bereits in einem Video ausführlicher erklärte:

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Selbst ein Schwimmbad wird zur Besonderheit

Im Westen wird Japan als derart exotisch angesehen, dass jeder Aspekt des alltäglichen Lebens zu einer Besonderheit gemacht werden kann. Der Guardian, eine durchaus als seriös angesehene britische Tageszeitung, veröffentlichte etwa im Jahr 1994 einen Artikel der erklärte, dass ein Schwimmbad nur verstanden werden kann, wenn man es im Kontext der japanischen Kultur betrachtet.[3]

[…] the concept is not that radical in Japan: attempts to improve on the environment have a long history. Japanese gardens are supposed to be cultivated and trimmed into perfection. Nature is not expected to happen naturally.

Im gleichen Atemzug wird hier auch die Gärtnerei zu einer Besonderheit Japans gemacht, obwohl sie in der gleichen Art und Weise auch in europäischen Ländern existiert. Von imposanten Schlossgärten bis hin zu privaten Schrebergärten ist es ein leichtes, Beispiele dafür zu finden.

Daran hat sich auch im Jahr 2021 nichts geändert und gerade auf sozialen Medien wie Facebook wirst du häufiger Menschen sehen, die Aspekte Japans mit ihrem japanischen Begriff nennen und dann erklären, es sei eine Besonderheit, die man nicht richtig übersetzen kann. Zu diesen Besonderheiten zählen dann Dinge wie Bento (dt. Frühstücksboxen) oder Anreden wie -san (dt. Herr /  Frau).

Wo kommt der Trend her?

Die Gesellschaft Japans und auch der Charakter der Einwohner des Landes wird bereits seit dem 17. Jahrhundert immer wieder verallgemeinert und generell auf die Kultur zurückgeführt. [4] In den Augen von Hammond ist das ein Ausdruck der Furcht vor dem Fremden.

Damit in Zusammenhang stehend sieht er als zweiten großen Grund einen rassistischen Gedanken, der sich als “kulturelle Unterschiede” getarnt durch die Medienlandschaft zieht. Denn in denen werden beobachtete Unterschiede stets auf Dinge wie eine vom Westen grundlegend verschiedene “japanische Psyche” zurückgeführt.

Die Verwestlichung Japans wird so häufig als eine Art Maskerade dargestellt, hinter der stets ein inherenter und unabändlicher “japanischer Charakter” steckt. Erklärungen für das Verhalten sucht man so in Dingen wie archäischen Religionen, die im Alltag kaum noch eine tragende Rolle spielen. [5] Mit seiner Meinung steht Hammond nicht alleine da.

Auch Jeffrey Levick, Direktor der Programme für internationale bildende Ressourcen der Ostasien-Studien am Yale Center für Internationales und Gebietsstudien, erkannte den “kulturellen Determinismus” als einen der Stereotypen der immer wieder aufkommt, um die Unterschiede von Japan im Vergleich mit dem Westen zu erklären.[6]

Verarbeitung des zweiten Weltkriegs

Das wird auch in Berichten zum 50. Jahrestag vom Ende des zweiten Weltkriegs deutlich, in denen Deutschland und Japan grundlegend anders behandelt werden. Auch zu dieser Zeit standen “kulturelle Unterschiede” zu Japan im Mittelpunkt.

Während in Deutschland das Nazi-Regime für die Greueltaten des Krieges verantwortlich gemacht wurde, waren im Fall von Japan die Japaner als Volk das Ziel. Gleichzeitig forderte man eine Entschuldigung von Japan für die Greueltaten des Krieges, verteidigte gleichzeitig jedoch den durchaus umstrittenen Abwurf der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki.[7]

Falsches Bild durch soziale Medien

Zwar stammen die Beobachtungen von Hammond aus dem Jahr 1999 und die von Lewick aus 2005, doch selbst 2021 sind sie noch relevant. Denn nicht nur hat sich die Berichterstattung über Japan kaum geändert, auch wird die Mystifizierung heutzutage noch durch sozialen Medien wie etwa Instagram, Facebook und Youtube weiter verstärkt.

Auch hier findest du zahlreiche Videos und Beiträge, die in die selbe Richtung wie der genannte Journalismus abzielen, Trivialitäten als eine große Besonderheit Japans hervorheben und Japaner ebenso als eine restlos homogene Gemeinschaft darstellen, in der jedes einzelne Mitglied die identischen Eigenschaften besitzt.

Entsprechende Beiträge zielen stets darauf ab, den Zuschauern “neue” Informationen zu geben, die ihr bekanntes Wissen und die Erwartung des “exotischen Japan” bestätigen.[8] Dadurch erhalten diese Beiträge auch großen Zuspruch. Eine kritische Betrachtung existiert nicht. Das trägt dazu bei, dass sich ein durch Klischees verzerrtes Bild von Japan verbreitet, das ich bereits in der Vergangenheit kritisierte:

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Deswegen ist die Mystifizierung ein Problem

Durch diese Art der Berichterstattung verbreiten sich nicht nur Falschinformationen, sie erklären letztendlich auch nichts. Sie nutzen Kultur als Grund, ignorieren dabei jedoch, dass die Kultur selbst eine Erklärung benötigt. Ganz nach dem Motto: “Japan ist anders, weil sie eine andere Kultur haben.”

Ebenso werden mit einer derartigen Erklärung einzelne Individuuen nur zum Empfänger der Kultur, unfähig diese selbst weiter zu verändern. Es wäre damit eine unabänderliche Macht, die über der einzelnen Person steht und trotz ihrer historischen und gesellschaftlichen Herkunft von diesen Punkten losgelöst wird. Weiter werden unter Bezugnahme der kulturellen Unterschiede auch normalerweise rassistische Diskussionen plötzlich sozial akzeptiert.[9]

Diese Problematik fiel mir auch in meinem eigenen Japanologie-Studium auf. Hier traf ich häufiger Kommilitonen, die über Japaner redeten, als seien Westler die dominante Kultur. In ihren Augen waren es “wir” die als einzige ihr Gegenüber verstehen können und sich dadurch an die japanische Kultur anpassen müssen, um akzeptiert zu werden. Dass Japaner ihres Zeichens selbst auch dazu in der Lage sind, fremde Kulturen sowie Gesellschaften zu untersuchen und auf unterschiedliche Verhaltensweisen zu reagieren, war nie ein Thema.

Menschen definieren Kultur

Kultur ist jedoch nicht festgelegt und kann sich durch das Verhalten von Individuen ändern. Das gilt natürlich auch im Fall von Japan, wie du an vielen verschiedenen Aspekten feststellen kannst. Beispielsweise an der Subkultur der Otaku, die einst von der breiteren Gesellschaft kritisch beäugt wurden, mittlerweile jedoch mit ihren Medien in der Mitte angekommen sind.

Natürlich ist es nicht so, dass alles in Japan wie im Westen ist und Unterschiede existieren. Allerdings solltest du bei der Betrachtung genau darauf achten, was überhaupt unterschiedlich ist.  Ein Ziel, das die Mystifizierung nicht erreicht. Erst dann kannst du damit beginnen zu untersuchen, welche historischen und gesellschaftlichen Aspekte zu diesen Unterschieden führen.

Bei der Betrachtung Japans ist es deswegen wichtig, die erkannten Unterschiede korrekt zu erklären und nicht nur auf eine “fremde Kultur” zurückzuführen. Wenn man Gemeinsamkeiten sucht, wird ersichtlich, dass ähnliche Entwicklungen im Westen nicht nur stattfinden können, sondern es auch tun. Dadurch wird auch das Individuum sowie dessen Entscheidungen stärker in den Mittelpunkt gestellt und es wird nicht mehr davon ausgegangen, dass die eigene Herkunft komplette Kontrolle über das Handeln besitzt.

Quellen

[1] Hammond, Phil (1999). The Mystification of Culture. Western Perceptions of Japan. In: International Communication Gazette Vol. 61(3-4). Sage Publication. London. Thousand Oaks & New Delhi. S. 311.

[2] Levick, Jeffery (2005). Japan in the U.S.. Bias and Stereotypes.

[3] Hammond, Phil (1999). S. 312

[4] Levick, Jeffrey (2005).

[5] Hammond, Phil (1999). S. 313

[6] Levick, Jeffrey (2005).

[7] Hammond, Phil (1999). S. 315

[8] Levick, Jeffrey (2005).

[9] Hammond, Phil (1999). S. 318 f.

Profilbild von Mathias Dietrich

Ich bin der Betreiber von Kawaraban und beschäftige mich seit 2007 mit Japan und seiner Sprache.

Ich habe einen Bachelor of Arts in Japanologie erworben und ein Austauschstudium an der Senshu-Universität absolviert.

Seit 2018 lebe ich in Japan und berichte über das Land und mein Leben hier.

Eines meiner Ziele ist es, zukünftigen Generationen bessere Erklärungen zur Sprache zu bieten, als ich sie zur Verfügung hatte.

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