Wenn du schon einmal ein Online-Spiel gespielt hast, weißt du, wie rau es dort zugehen kann: Beleidigungen und Hass sind an der Tagesordnung. Doch wie ist die Online-Kultur eigentlich in Japan, wo jeder Mensch stets freundlich zu sein scheint? Ich berichte dir von meinen Erfahrungen mit der für Westler sehr komischen Onlinewelt!
Als ich in Deutschland wohnte, wurde ich in Online-Spielen regelmäßig beleidigt. Die Anzahl an Tickets, die ich wegen unsportlichen Verhalten stellte, sind unzählbar. Von einem simplen “GG EZ”, mit dem viele Spieler immer erklären, der besiegte Gegner sei so schwach, dass das Match einem “Easy-Modus” gleiche, bis hin zu wüsten Beschimpfungen und gar Todesdrohungen habe ich schon alles erlebt.
Und auch wenn sie mich störte, empfand ich diese Kultur wie so viele andere einfach nur für Normalität. Dann begann mein Austauschstudium in Japan und ich merkte, dass es anders geht. Als ich mich hier zum ersten Mal auf die Server des mittlerweile eingestellten Online-Rollenspiels Dragon’s Dogma Online wagte, offenbarte sich mir eine neue Welt. Eine mysteriöserweise sehr freundliche Welt!
Man sagt ernsthaft noch “Danke!”
Das fiel mir in dem Spiel als erstes während dem Kampf gegen einen riesigen Feen-Drachen auf. In einer bestimmten Phase lässt der einen Angriff los, der im schlimmsten Fall die gesamte Gruppe ausradieren kann.
Um dem entgegenzuwirken etablierte sich die Taktik, ein Heilfeld zu setzen und einen Schildskill zu verwenden. So übersteht das Team diese heikle Phase und kann danach sofort wieder in den Kampf einsteigen.
Nachdem sich der Heiler und Tank mit ihren entsprechenden Skills ans Werk machten, sahen die weiteren Spieler das nicht etwa als Selbstverständlichkeit an. Stattdessen bedankte sich jeder sofort im Chat!
Dieses Erlebnis ist zudem nicht etwa eine Ausnahme gewesen, sondern ist die Norm. Im Westen hätte man entsprechendes wohl einfach erwartet und geschwiegen, wohingegen manch Spieler bei einem Fehler zumindest ein “Noob” in den Raum geworfen hätte.
“Ich hab’s versaut! Tut mir leid!”
Zugegebenermaßen: Dragon’s Dogma Online ist ein Koop-Spiel, und in denen geht es auch im Westen etwas weniger rau zu als in kompetitiven Titeln wie etwa League of Legends oder Rainbow Six: Siege. Dennoch bist du auch hier nie sicher davor, für kleinste Fehler sofort beleidigt zu werden.
Doch in Japan passierte das einfach nie. Ich, und viele andere Spieler auch, machten hier bei schweren Bosskämpfen mal einen Fehler, der zur Niederlage führte. Anstatt jedoch ausfallend zu werden, heißt es im Chat stets nur “Entschuldigung!” und “Kein Ding!”. Hier kommt ein wenig zum tragen, dass in Japan meinst kein einzelnes Individuum die Schuld tragen muss, sondern diese eher auf den Schultern des gesamten Teams lastet. Keiner ist alleine Schuld, alle sitzen im selben Boot!
Mehr noch: Während im Westen die Mitspieler nach einer Niederlage im Regelfall das Weite Suchen und die Runde verlassen, blieb die Gruppe in Japan zusammen. Wir klickten wieder auf den “Bereit”-Knopf und warfen uns erneut ins Gefecht. Und dann auch mit Erfolg!
Diese Erfahrungen machte ich nicht alleine. Auch ein Komillitone von mir berichtete ähnliches. Und der spielte das für seine toxische Community bekannte League of Legends. Selbst dort erfuhr er keine Beleidigungen, sondern nur Ausgeglichenheit.
Auch in Japan gibt es Aufreger
Kultur ist nicht absolut, sondern gibt viel eher Tendenzen an. Auch im sonst so höflichen Japan wirst du Leute treffen können, die einfach nur unhöflich sind. Und in Deutschland triffst du ja auch nicht nur die ganze Zeit Personen, die sich über absolut alles beschweren.
Und ja: Auch ich machte negative Erfahrungen auf japanischen Servern. Zumindest während eines Vorfalls beleidigte mich auch eine Gruppe Japaner in Rainbow Six: Siege. Allerdings geschieht so etwas im fernen Osten einfach viel seltener.
Weniger Zoff dank Tatemae
Hintergrund dieses Verhaltens dürfte wohl die Tatemae sein. Man setzt also eine Maske auf und tut so, als störe es einen nicht. Ich selbst habe bereits so manch negative Erfahrung mit diesem gesellschaftlichen Phänomen gemacht, und kann ihm deswegen in einem persönlichen Umfeld nur sehr wenig abgewinnen.
Doch gerade im öffentlichen Leben erscheint sie mir ein wenig angenehmer als das typisch deutsche “schlechte Stimmung raushängen lassen”. Denn es wird kaum der Fall sein, dass wirklich alle Japaner innerlich viel gelassener sind. Ich bin mir sicher, dass auch hier manchmal die Emotionen überkochen. Allerdings werden die meisten Japaner diese negativen Gefühle nicht vor Fremden nach außen lassen. Selbst, wenn es “nur” online ist.
Und da ich die Leute, mit denen ich mal ein bis zwei Runden online verbringe, dann in den meisten Fällen sowieso nie wieder treffe, stört es mich hier nicht, wenn diese des guten Umgangs wegen nicht ganz ehrlich sind und ihre Gelassenheit nur vortäuschen sollten. Denn das dürfte für alle Beteiligten wesentlich entspannter sein.
Ich bin der Betreiber von Kawaraban und beschäftige mich seit 2007 mit Japan und seiner Sprache.
Ich habe einen Bachelor of Arts in Japanologie erworben und ein Austauschstudium an der Senshu-Universität absolviert.
Seit 2018 lebe ich in Japan und berichte über das Land und mein Leben hier.
Eines meiner Ziele ist es, zukünftigen Generationen bessere Erklärungen zur Sprache zu bieten, als ich sie zur Verfügung hatte.