In diesem Beitrag führe ich dich durch das heutige Hiroshima. Allerdings mache ich bewusst einen Bogen um die allseits bekannten Sehenswürdigkeiten wie das Atombombendenkmal und Miyajima, sondern erkunde lieber einige unbekanntere Gegenden, die etwas abseits liegen. Damit lernst du einige echte Geheimtipps kennen!
Hiroshima abseits des Tourismus
Japan ist ein großes Land. Reisende besuchen jedoch meist die selben Orte. Atombombendenkmal, Schloss und Miyajima? Davon liest du überall. Deshalb stelle ich dir ein paar Orte vor, die die meisten bei ihrem Ausflug nach Hiroshima ignorieren.
Hijiyama: Mehr als nur ein Berg
Am frühen Morgen breche ich auf und erblicke am Horizont einen komplett mit Bäumen bewachsenen Berg namens Hijiyama, auf dem ein ominöser Sendemast steht. Mein erstes Ziel steht fest! Ganz ohne Karte schlage ich mich durch die Stadt, mit dem Ziel stets vor Augen.
In einer Seitengasse, zwischen einigen Wohnhäusern versteckt, finde ich einen Aufstieg und werde nach nur wenigen Minuten bereits mit einem wundervollen Ausblick über die Stadt belohnt, der gerade zur Kirschblüte empfehlenswert ist.
Strahlungsforschung
Und das ist gerade mal der Anfang! Denn ab hier tun sich viele neue Wege auf. Ich folge wahllos einem Pfad und gelange zu einer Art Fabrikanlage, die mein Interesse weckt. Ein Schild am Eingang klärt mich über deren Funktion auf.
Es handelt sich hierbei um die ursprünglich 1947 von der US National Academy of Sciences gegründete Atomic Bomb Casualty Commission. 1975 reformierte diese sich als gemeinnützige Radiation Effects Research Foundation. Deren Ziel ist es, die medizinische Nutzung von Radioaktivität und damit zusammenhängende Krankheiten zu erforschen, um so Überlebenden der Atombombe weltweit zu helfen.
Dafür ergründen sie, wie stark ein Opfer verstrahlt wurde und wie sich das langfristig auf die Gesundheit auswirkt. Auch die Kinder von Überlebenden der Atombombe und möglicherweise auf sie vererbte Effekte sind Gegenstand der Forschung. Die Ergebnisse werden in wissenschaftlichen Studien veröffentlicht. Mit Hilfe dieser sollen internationale Standards für die Bemessung der Gefahren durch Strahlung gefunden und damit die menschliche Gesundheit geschützt werden.
Ein Friedhof, der die Bombe in Hiroshima überstand
Auf dem weiteren Weg stoße ich auf einen Militärfriedhof. Eine wichtige Regel in Japan: solche Stätten betritt man nicht einfach erhobenen Hauptes. Ich muss kurz am Eingang innehalten und mich verbeugen. Der Geruch von Räucherstäbchen, die zu Ehren der Toten angezündet werden, steigt mir bereits in die Nase. Ein gerader Weg führt hier, zwischen den Grabsteinen entlang, in Richtung eines Monumentes, das Aufschluss über die Geschichte dieser Stätte gibt.
“Im Gedenken an die französischen Matrosen der chinesischen Expeditionstruppe, die 1900 in Hiroshima starben, und in Anerkennung der Selbstlosigkeit, mit der die Japaner ihre Landsleute behandelten. Dieses Denkmal ist den in Japan lebenden Franzosen und Souvenir Francais gewidmet.”
Auf diesem Friedhof sind sieben Soldaten beerdigt, die während der Boxer-Aufstände in Beijing verwundet wurden. Sie wurden mit dem Schiff Halmai-Maru nach Japan evakuiert, erlagen letztendlich jedoch ihren Verletzungen. Ihre Gräber sind rund um dieses Denkmal angeordnet. Der Friedhof selbst überstand gar den Abwurf der Atombombe am 6. August 1945!
Nachdem ich unsere gefallenen französischen Freunde geehrt habe, verlasse ich den Friedhof, drehe mich am Ausgang gemäß der japanischen Bräuche noch einmal um und verneige mich zum Abschied. Nun setze ich meine Erkundungsreise fort.
Blick auf das Epizentrum
Nur ein wenig weiter finde ich eine weitere Aussichtsplattform, die jedoch passenderweise einen historischen Nutzen hat: sie bietet Ausblick auf das ehemalige Epizentrum der Atombombe. Von der Verwüstung aus dem Jahr 1945 ist hier nicht mehr viel zu erkennen. Stattdessen überblicke ich die belebte Innenstadt Hiroshimas.
Ein Berg voller Kunst
Direkt hinter mir fällt mir nun ein imposantes Gebäude auf. Das wurde von Kisho Kurokawa – einem der Führer des Architekturstils des Metabolismus – designed: die Kunstaustellungshalle von Hiroshima.
Hier werden in zwei Hauptgalerien Stücke ausgestellt, die die Trends der zeitgenössischen Kunst seit dem Ende des zweiten Weltkrieges dokumentieren und sich somit auch auf eher jüngere Künstler konzentrieren. Die Ausstellungen wechseln hier mit den Jahreszeiten.
Kostenlos Manga lesen
Meine Tour geht weiter und ich stoße auf einen kleinen Park inklusive einer Manga-Bibliothek. In der kann man ganz ohne Eintritt entspannen und eine ganze Fülle Manga lesen. Die meisten sind japanisch, aber es gibt auch ein etwas kleineres internationales Abteil mit Manga in allen möglichen Sprachen sowie einige westliche Comics.
In der Nähe finde ich zudem den Abstieg, der mich zu einer Bahnhaltestelle führt, die gar nicht weit vom Hauptbahnhof entfernt ist. Das trifft sich gut, denn ich habe vor, den Odagawa zu überqueren und das sehr waldige Gebiet auf der anderen Seite zu erkunden. Also nehme ich die Bahn nach Yokogawa-Eki, wo ich umsteige um bis nach Mitake-Eki zu gelangen.
Mitaki-Dera: Reise des Buddhismus
Ich folge der Hauptstraße, die mich zu einem großen und ruhigen Friedhof führt. Das bedeutet, dass ein buddhistischer Tempel in der Nähe sein muss! Tatsächlich werde ich nach einigen Minuten Fußweg fündig und entdecke Mitaki-Dera: den Tempel der drei Wasserfälle. Dessen Wasser wird heutzutage noch als jährliche Opfergabe im Friedensgedenkpark genutzt.
Er wurde im Jahre 809 in der Daido Era von der Shingon-Sekte erbaut, nachdem der Mönch Kukai das Gebiet für heilig erklärte, da sich hier der Geist von Bodhisattva offenbart habe. Er ist Guanyin – auf Japanisch häufig Kannon ausgesprochen – der Göttin der Vergebung gewidmet und die 13. Station der buddhistischen Chugoku 33 Kannon Pilgerreise.
Pagode auf Reisen
Nach nur wenigen Metern finde ich das herausragendste Merkmal direkt am Anfang: Eine zweistöckige, Tahoto genannte Pagode, die einst in Hirogawa stand, jedoch 1951 für eine Gedenkfeier der Atombombenopfer nach Hiroshima transportiert wurde. In der Pagode befindet sich eine Statue von Amida Buddha.
Da ich ruhigere und etwas abgeschiedenere Orte mag, erkunde ich das sehr atmosphärische Tempelgebiet, in dem die Bauwerke der Menschen mit der Natur harmonieren. Als ich glaube, das Ende der Anlage erreicht zu haben, fällt mir ein selten begangener Treppenaufgang auf. Ich folge ihm und erblicke alle paar Stufen eine Statue.
Am Gipfel angekommen wartet ein alter und weiser Lehrmeister in Form einer Buddha-Statue auf mich, der einen dicht bewachsenen Weg tiefer in den Wald zu bewachen scheint. Ich denke kurz darüber nach, diesen zu erkunden, doch nach einigen Metern stelle ich fest, dass ich wohl noch nicht würdig bin. Oder anders gesagt: der Weg führt tief in den Wald und ich bin für die entsprechende Wanderung nicht ausgerüstet. Also trete ich den Rückweg zum Hauptbahnhof an.
Kinkou-Jinja
Kurz bevor ich den Bahnhof erreiche, erblicke ich einen kleinen Schrein auf einem weiteren Berg in der Nähe – dem Futaba. Um dort hin zu gelangen, gehe ich erst einmal durch den Bahnhof, um die andere Seite der Schienen zu erreichen. Der Zugang könnte kaum offensichtlicher sein: Ein riesiger Tempel namens Toshogu. Wer am 1. oder 15. des Monats vorbeikommt, kann hier den Shinto-Zeremonien beiwohnen.
100 Toori zum Gipfel
Hinter diesem finde ich einen weiteren Aufgang mit genau 100 Toori genannten orangenen Holzbögen, die mir den Weg zum Gipfel leiten. Hier ist ein kleiner Schrein, der Kinkou Inari. Hier wird seit etwa 250 Jahren die Göttin der Füchse, des Wohlstands und der Fruchtbarkeit – Inari Okami – verehrt. Inaris Boten werden als schneeweiße Füchse dargestellt.
Doch das ist noch nicht der Gipfel. Den finde ich erst einige Stufen weiter, zusammen mit den Überbleibseln einiger Geschützpositionen aus dem zweiten Weltkrieg. Zudem gibt es hier einen atemberaubenden Ausblick über die Stadt, in der jetzt bereits langsam die Lichter angehen. Ich entschließe mich dazu, die heutige Reise mit einer Erkundung der Innenstadt am Abend zu beenden.
Hondoori: das belebte Zentrum von Hiroshima
Dafür gehe ich in das Zentrum der Stadt: Hondoori. Das bedeutet übersetzt einfach “Hauptstraße”. Dieser Name bezeichnet jedoch ein ganzes Viertel im Bezirk Naka-Ku. Das erstreckt sich vom Friedenspark, über Rijo-dori bis hin zum Parco Kaufhaus und Hatchobori.
Hier stoße ich auf eine ganze Fülle an Geschäften. Von Lebensmitteln, über Kleidung bis hin zu Arcade-Hallen gibt es in dem Gebiet einfach alles. Am einfachsten gelangst du über die verschiedenen Tramlinien der Stadt hierher. Steig dafür bei Station U1 aus, die von Linie 1, 2 und 6 angefahren wird. Falls du dagegen – wie ich – gerne zu Fuß gehst, erreichst du Hondoori in etwa 20 Minuten vom Hauptbahnhof aus.
Kulinarische Auswahl
Über das Zentrum der Einkaufsmeile stolperst du fast zwangsläufig, wenn du den Friedensgedenkpark besuchst. Hier erblicke ich zwei Okonomiyaki-Läden, in denen du die Hiroshima-Variation des berühmten japanischen Gerichts essen kannst. Bei dieser Variante des leckeren Pfannkuchens werden die Zutaten geschichtet. Entsprechend ihrer zentralen Lage sind die Restaurants auch gut besucht.
Dadurch ergeben sich lange Schlangen und Wartezeiten, weswegen sich etwas weiter abseits gelegene Läden besser für die Mittagspause eignen. Und ganz unter uns: in den kleinen abgelegenen Restaurants schmeckt es auch besser. Meine persönlichen Empfehlungen befinden sich ein wenig außerhalb des Stadtzentrums: das Denko Sekka in der Nähe des Supermarktes Aruk, sowie das Teppen, das direkt gegenüber liegt.
Fast jedes zweite Geschäft um Hondoori herum ist den kulinarischen Genüssen gewidmet. Sogar ein vegetarisches Restaurant entdecke ich! In einem Land, in dem der Begriff “Vegetarier” unserem “Vegan” entspricht, gleicht das fast einem Einhorn.
Vom Hobbybedarf bis zur Übernachtung
Abseits der Restaurants entdecke ich Hobbyläden, in denen du Sammelkarten oder Modelle kaufen kannst. Direkt daneben ist das Computerfachgeschäft Dospara. Über deren Expertise und Kundenservice hört man jedoch nur wenig erfreuliches.
Auch mit neuer Kleidung kannst du dich hier in kleineren Boutiquen oder größeren Läden wie H&M eindecken und dabei feststellen, wie stark sich die Mode Japans von der in Deutschland unterscheidet.
Für Unterhaltung sorgen neben einer Reihe von Karaokebars auch Arcadehallen, in denen du alles von Kran- bis hin zu Tanzspielen spielen kannst – die überspringe ich heute jedoch. Wer noch spät in der Stadt unterwegs ist und den letzten Zug verpasst, kann sich im Internetcafe einnisten und die Nacht verbringen. Ich selbst muss davon keinen Gebrauch machen, und begebe mich nach diesem anstrengenden Tag erstmal auf den Rückweg in meine eigenen vier Wände.
Ich bin der Betreiber von Kawaraban und beschäftige mich seit 2007 mit Japan und seiner Sprache.
Ich habe einen Bachelor of Arts in Japanologie erworben und ein Austauschstudium an der Senshu-Universität absolviert.
Seit 2018 lebe ich in Japan und berichte über das Land und mein Leben hier.
Eines meiner Ziele ist es, zukünftigen Generationen bessere Erklärungen zur Sprache zu bieten, als ich sie zur Verfügung hatte.