Hiroshima verarbeitet die Atombombe nicht nur im Friedensmuseum.

Wie Hiroshima heute mit der Atombombe umgeht

Am 6. August 1945 um 8:15 Uhr fand in Hiroshima ein tragisches historisches Ereignis statt: der erste kriegerische Einsatz einer Atombombe. Die Stadt ist bis heute noch von diesem Vorfall geprägt. Doch wie geht sie damit um?

Einen Einblick gibt der Ort des Geschehens: der Friedensgedenkpark. Hier steht nicht nur der Atombombendom – das dem Epizentrum am nächsten gelegene Gebäude, das noch steht – sondern auch zahlreiche Monumente wie Gedenksteine und Statuen. Mit diesen verarbeitet Hiroshima das Geschehene und gibt einen Einblick in die Vergangenheit.

Das Friedensgedenkmuseum

Vor dem Friedensmuseum findet eine jährliche Gedenkfeier statt.
Vor dem Friedensmuseum findet eine jährliche Gedenkfeier statt.

Das Friedensgedenkmuseum ist die wohl beste Anlaufstelle um zu erfahren, wie die Stadt mit den Ereignissen von 1945 umgeht. Das 1955 eröffnete Gebäude dient nicht nur dem Gedenken der Opfer, sondern auch der Dokumentation des Atombombenabwurfs.

Eine Uhr zählt die Tage

Im besten Fall muss die Friedensuhr in Hiroshima nie zurückgesetzt werden.
Im besten Fall muss die Friedensuhr in Hiroshima nie zurückgesetzt werden.

Von außen siehst du hier bereits die Friedensuhr. Diese gibt zwei Zeiten an: wie lange der Abwurf der Atombombe in Hiroshima her ist und wann der letzte Test einer Nuklearwaffe stattfand.

Solange die Gesetze der Physik funktionieren, sollte die obere Anzeige also jeden Tag größer werden. Die untere muss hingegen immer wieder zurückgesetzt werden, da Tests von Atomwaffen nach wie vor stattfinden. Am 75. Jahrestag des Atombombenabwurfs am 6. August 2020 steht der Zähler hier auf 540 Tagen.

Die Schicksale der Opfer

Jedes der Ausstellungsstücke erzählt eine Geschichte.
Jedes der Ausstellungsstücke erzählt eine Geschichte.

Der Rundgang ist in verschiedene Abschnitte unterteilt. Der Anfang der Ausstellung konzentriert sich auf Einzelschicksale und erzählt, wie verschiedene Individuen die Explosion und deren Folgen erleben. Dafür werden persönliche Gegenstände der Opfer ausgestellt und Hiroshima vor sowie nach dem Abwurf beschrieben.

Eine Projektion visualisiert das Ausmaß der Atom­bomben­explosion in Hiroshima anschaulich. Hier siehst du zunächst eine Luftaufnahme der Stadt, über der die Little Boy genannte Bombe abgeworfen wird. Darauf folgt eine Explosion und danach ein Bild des zerstörten Gebietes.

Im weiteren Verlauf des Rundgangs findest du künstlerische Aufarbeitungen der Ereignisse und Fotos der Opfer. Außerdem werden eine Reihe von Memorabilien wie Brotbüchsen, Schuluniformen, Spielzeug und ähnliches ausgestellt, welche die Explosion mehr oder weniger intakt überstanden.

Dazu gibt es eine Geschichte über die jeweiligen ehemaligen Besitzer. Hier geht es um Emotionen, das wird auch bei der Wortwahl der besonders farbigen Beschreibungen deutlich. Ein ins Deutsche übersetztes Beispiel:

[…] Shigeru verließ sein Zuhause und freute sich auf sein Mittagessen. Doch er kam nie dazu, es zu essen.

Neben den niedergeschriebenen Einzelschicksalen, kannst du dir im Museum zudem eine Reihe von Interviews mit den Überlebenden des Abwurfs anhören, die ihre Eindrücke ausführlich schildern.

Die Geschichte von Sadako

Der Origami-Kranich an der Glocke des Kinderdenkmals erinnert an Sadako.

Ein besonderes Augenmerk gebührt der Geschichte von Sadako Sasaki, die ebenfalls im Museum erzählt wird. Diese Geschichte kennt jeder Einwohner der Stadt. Sadako erlebt die Atom­bomben­explosion im Alter von zwei Jahren. Gerade einmal zehn Jahre später verstirbt sie im Alter von 12 an Leukämie.

Bekannt wird sie, da sie während ihres Krankenhausaufenthaltes 1.000 Origami-Kraniche aus Papier faltet. Der Grund ist, dass sie einst hörte, dass ihr Wunsch wahr wird, wenn sie das tut.

Nach ihrem Ableben wollen ihre Mitschüler ihr ein Denkmal setzen. Das Geld dafür sammeln sie mit Spenden. Dem Aufruf dafür kommen über 3.000 Schulen aus ganz Japan nach.

Das Ergebnis ist das Kinderdenkmal, das du nur unweit der
Flamme des Friedens vorfinden kannst. Dieses gedenkt allen Kindern, die aufgrund der Atombombe verstarben und steht dafür, dass sich so ein Vorfall niemals wiederholen soll.

Manchmal stehen an diesem selbst heute noch Schulklassen, die hier unter Aufsicht ihrer Lehrer Lieder singen und sich den weltweiten Frieden herbeiwünschen. Auch sonst werden insbesondere Ausländer in dem Park häufig von Schülern angesprochen und um Interviews gebeten, bei denen es häufig um darum geht, Fragen zur eigenen Ansicht hinsichtlich der Atombombe zu beantworten.

Was steckt hinter der Atombombe?

In dieser Halle wird der Ablauf des Krieges und die Entwicklung der Bombe geschildert.

Den Abschluss des Museumbesuches stellt eine große Halle dar. Diese ist neben der Geschichte und der Technik der Atombombe auch der Geschichte von Hiroshima und Japan im zweiten Weltkrieg gewidmet.

So wird erzählt, wie die Entwicklung an der Atombombe und das Manhattan Project beginnt und auch, wie Japan mit dem Angriff auf Pearl Harbor in den Krieg eintritt.

Manche Kritiker, wie zum Beispiel Jeff Kingston, Professor für Geschichte an der Temple University in Japan, behaupten, dass das Museum die Geschichte hier etwas voreingenommen betrachtet. Manche Dinge würden hier schwerer gewichtet, als sie letztendlich gewesen sein sollen. Jedoch ist auch bei Historikern nach wie vor umstritten, ob der Einsatz der Atombombe tatsächlich ausschlaggebend für das Kriegsende war.

Eine Halle für die Opfer

Die Uhr am Eingang der Gedenkhalle steht auf 8:15 - der exakte Zeitpunkt, an dem die Atombombe in Hiroshima explodierte.
Die Uhr am Eingang der Gedenkhalle steht auf 8:15 – der exakte Zeitpunkt, an dem die Atombombe in Hiroshima explodierte.

Seit 2002 gibt es eine eigene Gedenkhalle, die du kostenlos besuchen kannst. In dieser zylindrischen Halle sammeln Kuratoren des Museums die Geschichten und auch Bilder der Opfer sämtlicher Nationalitäten. Damit will man den Besuchern verdeutlichen, welche Auswirkungen der Atom­bomben­abwurf auf individuelle Menschenleben hatte.

Die Wände der Halle bestehen aus insgesamt 140.000 Platten. Das symbolisiert die geschätzte Anzahl der Opfer, die der Bombenabwurf bis Ende 1945 forderte.

Eine Stadt gedenkt

Zwei Japaner beten vor dem Friedensdenkmal.
Zwei Japaner beten vor dem Friedensdenkmal.

Das Gedenken der Opfer ist allerdings nicht an die Halle gebunden. Viele der Besucher des Gedenkparks geben hier ein kurzes Gebet am Friedensmonument ab.

Der 6. August ist wegen der Explosion der Bombe zudem ein ganz besonderer Tag. Uhren, die exakt um 8:15 stehenblieben, zeugen noch heute von diesem Ereignis. Zu dieser Uhrzeit wird innerhalb des Parks zudem eine Schweigeminute eingelegt, während das Leben im Rest der Stadt weitergeht.

Der gesamte Tag ist deswegen Anlass für eine jährliche offizielle Zeremonie im Friedensgedenkpark, die auch viele Aktivisten nutzen, um den Ruf nach “No Nukes” und “No More Hiroshima” laut werden zu lassen. Letzterer bezieht sich nicht darauf, die Stadt verschwinden zu lassen, sondern darauf, dass nie wieder ein Ereignis wie seinerzeit stattfinden soll.

Der Bürgermeister der Stadt, Matsui Kazumi, hat zum 75. Jahrestag zudem eine Liste der Opfer in diesem Monument abgelegt, auf der die Namen von 4.943 Überlebenden niedergeschrieben sind, die im Laufe des Vorjahres verstarben.

Die andere Seite

Die Menschen von Hiroshima streben auch heutzutage noch nach Frieden. Gleichzeitig gibt es auch eine gewisse Minderheit, die Genugtuung und eine Entschuldigung von den Vereinigten Staaten fordern.

Diesen Wunsch verbreiten gerade zum Jahrestag der Atombombe viele nationalistische Japaner, die mit Transportern durch Hiroshima fahren und ihre Forderung lautstark über Lautsprecher mitteilen.

Hibakusha – die Opfer der Bombe

Ein weiterer problematischer Aspekt bei der Atombombe sind die so genannten Hibakusha. Dieser Begriff bedeutet übersetzt so viel wie “von der Bombe betroffene Person” und bezeichnet international jene Menschen, die den Atombombenabwurf 1945 überlebten, sowie deren Nachkommen. Hibakusha sehen sich in der japanischen Gesellschaft häufig Diskriminierung ausgesetzt.

Viele Menschen unterliegen dem Glauben, dass die Erkrankung durch die atomare Strahlung vererblich und gar ansteckend sei. Eine Annahme, die die Wissenschaft jedoch bereits widerlegt hat. Dennoch ist es für viele Hibakusha schwer, Arbeit oder einen Partner zu finden.

In Hiroshima selbst gibt es auf dem in der Stadt gelegenen Berg Hijiyama gar ein Forschungsinstitut, das sich mit der medizinischen Nutzung von Radioaktivität beschäftigt und versucht den Überlebenden der Atombombe zu helfen. Ebenso untersuchen sie die Nachkommen der Hibakusha und möglicherweise vererbte Effekte.

Reaktion der Regierung

Offiziell sind Betroffene berechtigt, Unterstützung von der japanischen Regierung zu erhalten. Jedoch ist die Anerkennung des Hibakusha-Status im Rechtssystem Japans durchaus kompliziert. Stand 31. März 2019 sind noch 145,844 am Leben. Der Regierung Japans zufolge leiden ein Prozent von ihnen an den Auswirkungen der Explosion.

Die koreanischen Überlebenden des Abwurfs hatten es zudem lange Zeit schwer, ihren Status anerkannt zu bekommen. Erst 2002 ändert das der oberste Gerichtshof in Osaka und erklärt, dass Überlebende Überlebende sind, egal wo sie sich befinden.

Trotz des Vorfalls ist Japan nach wie vor eines der Länder, welches den Atomwaffenverbotsvertrag nicht unterschreibt. Sie glauben die amerikanischen Nuklearwaffen erhöhen ihre Sicherheit.

Die Atombomben-Debatte

Jetzt hast du einen Eindruck davon, wie Hiroshima heutzutage mit dem Atombombenabwurf umgeht. Wenn du dich für einen kurzen historischen Überblick und einen Zugang zu der anhaltenden Debatte um die Notwendigkeit der Atombombe interessierst, wirst du hingegen in einem meiner ersten Artikel auf dieser Seite fündig.

Profilbild von Mathias Dietrich

Ich bin der Betreiber von Kawaraban und beschäftige mich seit 2007 mit Japan und seiner Sprache.

Ich habe einen Bachelor of Arts in Japanologie erworben und ein Austauschstudium an der Senshu-Universität absolviert.

Seit 2018 lebe ich in Japan und berichte über das Land und mein Leben hier.

Eines meiner Ziele ist es, zukünftigen Generationen bessere Erklärungen zur Sprache zu bieten, als ich sie zur Verfügung hatte.

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  1. Martin Eickhoff sagt:

    Es ist schon beunruhigend wie rechte Kreise in Japan an Boden gewinnen und von alter imperialer Überlegenheit träumen. Aber gut, dass beim G7 Treff am Ende doch alle durch das beeindruckende Museum gegangen sind. Wo im Moment so viel über Militärausrüstung gesprochen wird muss man immer wieder erinnern warum Atomwaffen ein absolutes NoGo sind. Streubomben gehen ja schon wieder.
    Tolle Artikel, tolles Layout, macht Spass zu stöbern!
    Meine Seite mit Urlaubsfotos bleibt da weit zurück: https://www.oakhouse.de/Tosa.html
    Aber eine Frage an Sie als Experten: sind die Bilder von alten Ekin jetzt eher Anime oder Manga?

    • Mathias Dietrich sagt:

      Atomwaffen sind ein zweischneidiges Schwert. Ohne die Bedrohung der sofortigen Auslöschung häten manche Länder wohl weniger Skrupel noch mehr Krieg zu führen. Ihre Existenz sorgt also durchaus auch für Frieden. Nur eben immer mit der Angst dahinter. In einer idealen Welt hätten wir Frieden ohne Atomwaffen. Nur gemessen an der Geschichte und auch der Gegenwartspolitik sehe ich das eher nicht als möglich an.

      Ich bin nicht direkt ein Kunstexperte. Würde nur sagen, dass man Medium und Stil eher nicht gleichsetzen kann. Manga und Anime sebst sind ja auch nicht genormt und es gibt die verschiedensten Werke mit den verschiedensten Stilen.

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