Japan ist vor allem für seine atemberaubende Kirschblüte bekannt, die viele Menschen dazu veranlasst, das Land einmal im Urlaub zu besuchen und eine Rundreise zu unternehmen.
Ich habe das Ereignis etwas genauer unter die Lupe genommen, mit den Einheimischen geredet und decke die interessanten Hintergründe rund um das Naturschauspiel auf.
Hanami – Das Kirschblütenfest
Die Kirschblüte – oder Sakura – ist wohl das Ereignis, das viele Menschen am ehesten mit Japan in Verbindung bringen. In den meisten Regionen des Landes findet sie von Ende März bis April statt und ist Anlass für ein ganzes Fest.
Die Blütenschau, auf japanisch Hanami, ist hier eine Jahrhunderte alte Tradition. Allen voran will ich dich natürlich an diesem Naturschauspiel teilhaben lassen. Gleichzeitig erkläre ich dir, die kulturellen Hintergründe und wie du sie perfekt vorbereitet genießen kannst.
Eindrücke des Naturschauspiels selbst kannst du dir nicht nur mit den Bildern auf dieser Seite machen, sondern auch in meinem dazugehörigen Video auf Youtube:
Die Herkunft des Hanami auf Youtube ansehen
Wann ist die Kirschblüte?
Zwar verbinden viele Menschen die Kirschblüte mit dem Frühjahr, in Wirklichkeit kannst du sie jedoch fast die gesamte erste Hälfte des Jahres über sehen. Schon im Januar beginnt sie auf Okinawa im Süden des Landes. Danach bewegt sie sich langsam in die nördlichen Regionen, bis sie im März bis Anfang April auf dem Breitengrad von Kyoto und Tokio ankommt. Danach zieht sie weiter und endet und Mitte Mai auf Hokkaido.
Je nach Temperatur beginnt sie mal eher und mal später. Ist es zu kalt, dann verzögert sich die Kirschblüte. Ist es hingegen sehr warm, kommt sie schonmal etwas eher. Nach dem ersten Aufblühen dauert es dann im Schnitt etwa zehn Tage, bis das Naturschauspiel endet.
In den gemäßigteren Regionen des Landes – primär auf der Hauptinsel Honshu – fällt die Hanami-Zeit mit Anfang April nicht nur auf den Anfang des japanischen Schuljahres, sondern auch den des neuen Fiskaljahres der meisten Firmen.
Der erste Schul- oder Arbeitstag wird damit stets von den fallenden weißen oder pinken Blätter der Kirschbäume begleitet. Das erweckt für viele Japaner den Eindruck, dass die Sakurablüten ihren neuen Start zelebrieren und ihnen somit Hoffnung geben. Zudem verbinden sie viele Kindheitserinnerungen mit dem jährlichen Brauch, wodurch der Anblick sie nostalgisch stimmt.
Die jeweils aktuelle Sakura-Vorhersage findest du zusammen mit einigen Tipps für die besten Plätze umd die Blütenschau zu betrachten in meinem regelmäßig aktualisierten Kalender:
Zum Sakura-Kalender
Wo kommt Hanami her?
Der Brauch des Hanami soll seine Ursprünge bereits als religiöses Ritual in der Nara Periode (710 – 794 nach Christus) haben. Zu dieser Zeit werden jedoch eher die Blüten der Pflaumenbäume bestaunt. Die blühen bereits einen Monat eher, als die heute üblichen Kirschblüten.
Die Kirschbäume selbst wachsen in jenen Tagen nur auf den Bergen des Landes und werden als heilig betrachtet. Sie tragen die Seele des Berggottes auf den Blüten vom Gipfel hinunter, wo sie sich in die Gottheit der Reisfelder verwandelt und somit die Menschen ernährt.
Wenn die Kirschblüten die Felder erreichen, ist das somit ein Zeichen mit dem Reisanbau zu beginnen. Nicht selten besuchen sie die Berge deswegen, und beten die Bäume an.
Sakura als kultureller Anker
Die erste schriftliche Überlieferung von Hanami gibt es in dem 712 verfassten Buch Kojiki. Dieses wird von Kaiserin Gemmei in Auftrag gegeben, um die mündlich überlieferte Geschichte zum Ursprung Japans schriftlich festzuhalten. Es verfolgt das Ziel, eine einzigartige japanische Identität zu erschaffen. Damit will sie sich der immer stärker werdenden Einflüsse der chinesischen Tang-Dynastie widersetzen.
Die Sakurabäume für den Brauch des Hanami in den Dörfern und Städten etablieren sich erst in der Heian-Periode von 794 bis 1185 nach Christus. Zu dieser Zeit entwurzeln die Menschen sie auf den Bergen und bringen sie in die bevölkerten Gebiete.
Die Verbindung mit dem Tod
Ab 1192 etabliert sich Sakura als Symbol der japanischen Seele. Das ist auf den Samurai-Brauch des Seppuku – dem rituellen Selbstmord – zurückzuführen, wie Constantin Vaporis von der University of Maryland erklärt. Rituelle Selbstmörder identifizierten sich mit der Kirschblüte, weil sie “zum Zeitpunkt ihrer größten Schönheit stirbt. Der perfekte Tod”.
Der Brauch, ein Picknick unter den Bäumen zu machen, ist seinerzeit hauptsächlich dem Adel vorbehalten. Unter dem einfachen Volk ist es eher ungebräuchlich. Erst seit Ende der Edo-Zeit von 1603 bis 1868 breitet es sich verstärkt unter den Bürgerlichen aus. Das ist dem achten Shogun Japans – Tokugawa Yoshimune – zuzuschreiben, der für diesen Zweck grosse Areale mit Kirschbäumen bepflanzt.
Nachdem der Kaiser in der Meiji-Zeit von 1868 bis 1912 dem Shogun die Macht entreißt, wird die Kirschblüte als Metapher verwendet, um die neue imperiale Armee anzuspornen. Deren Soldaten wird die “Japanische Seele” verliehen und ihnen wird erklärt, dass sie “Für den Imperator sterben sollen, wie die wundervollen Blüten der Kirschbäume”.
Zu dieser Zeit werden Kirschbäume am Yasukuni-Schrein gepflanzt. In diesem werden alle Soldaten der japanischen Armee geehrt, die seit der Meiji-Zeit verstorben sind. Sakura-Bäume sollen hier die Seelen der Verstorbenen trösten. Auch in den Kolonien Japans pflanzt Japan in dieser Zeit Kirschbäume – als Zeichen des Besitzanspruchs.
Sakura im zweiten Weltkrieg
Im zweiten Weltkrieg setzt die Regierung verstärkt auf das Symbol der Kirschblüte. Sie nutzen sie häufig für Propagandazwecke, mit dem Ziel, Nationalismus und Militarismus in der Bevölkerung zu festigen.
Die Armee hingegen spornt ihre Soldaten mit dem Symbol der Kirschblüte an. Die Kamikaze-Piloten, die ihre Flugzeuge in Selbstmordkommandos auf feindliche Schiffe fliegen, bemalen diese mit Sakura-Bildern und nehmen häufig auch Zweige des Baumes auf ihren tödlichen Einsatz mit. Die Regierung erklärt der Bevölkerung zudem, dass die Seelen der gefallenen Soldaten als Kirschblüten wiedergeboren werden.
Die Armee benannte gar ein speziell für Kamikaze-Angriffe entwickeltes Flugzeug nach den Sakura-Bäumen: Die Ohka. Der Name wird mit den selben Kanji geschrieben wie Sakura, nutzt jedoch die chinesische Aussprache der Zeichen.
Das Symbol von Sakura in der Moderne
Auch heutzutage sieht die Kirschblüte nicht nur hübsch aus, sondern hat in Japan nach wie vor einen großen kulturellen Wert. Gerade im japanischen Buddhismus repräsentiert sie mit ihren schnell blühenden und herabfallenden Blüten die Vergänglichkeit des Lebens – gleichzeitig jedoch auch Erneuerung, da sie jährlich aufs neue blühen.
Das wird für viele Menschen auch nach dem Tsunami am 11. März 2011 wichtig. Denn nachdem dieser Teile des Landes verwüstet, bilden die Kirschbäume einen kulturellen Anker, den sie nach wie vor der Katastrophe erleben können. Viele Japaner schöpfen somit aus dem jährlichen Blühen neue Hoffnung.
Ein Ereignis der Nation
Die Öffentlichkeit verfolgt Sakura jedes Jahr aufs neue über das Fernsehen. Die Wettervorhersage spricht bei der Ankündigung von “Sakura Senzen” – der Kirschblütenfront. Und sie ist für viele Menschen des Landes wichtig, um die perfekte Zeit zu finden ein Hanami-Picknick im Park mit einem Bento und Sake zu machen, oder bei Bedarf auch zu grillen.
Ebenfalls beliebt ist das abendliche “Yozakura” mit Freunden oder Kollegen von der Arbeit, während dem die Bäume im Dunkeln angestrahlt werden. Dabei geht es nicht nur darum, sich einfach nur die Blüten anzusehen, sondern den gesamten Tag zu reflektieren und den Stress des hektischen japanischen Alltags hinter sich zu lassen.
Kirschbäume in Japan zu finden ist kein großes Problem. Etwa 50 Prozent aller in den Städten gepflanzter Bäume sind Sakura-Bäume. Die besten Orte zu finden um das Hanami zu genießen ist da ungleich schwieriger.
Die japanische Kirschblüten-Gesellschaft veröffentlicht zwar eine Liste mit den 100 besten Lokalitäten, und nennt dabei zumindest einen Ort in jeder Präfektur – gleichzeitig sorgt das aber auch dafür, dass die entsprechenden Plätze stark überlaufen sind. Wie findest du also den perfekten Ort für die Kirschblüte in Japan? Indem du bereits im vornherein selbst auf die Suche gehst ud ein ruhiges Plätzchen auskundschaftest.
Ich bin der Betreiber von Kawaraban und beschäftige mich seit 2007 mit Japan und seiner Sprache.
Ich habe einen Bachelor of Arts in Japanologie erworben und ein Austauschstudium an der Senshu-Universität absolviert.
Seit 2018 lebe ich in Japan und berichte über das Land und mein Leben hier.
Eines meiner Ziele ist es, zukünftigen Generationen bessere Erklärungen zur Sprache zu bieten, als ich sie zur Verfügung hatte.